Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
und knisterten wild, und die Steinkolosse zerbarsten fast unmittelbar mit lautem Krachen.
Der ganze Pfad schien zu erzittern, die Erde bebte, und ein dumpfes Grollen rollte von den Felswänden. Rhonan hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu halten, und fürchtete ernsthaft, der Pfad würde verschüttet werden, aber plötzlich war es still. Wie seltsam geformte Felsbrocken lagen die Reste der Dämonenwächter auf dem Weg.
Rhonan ließ die Klinge in die Scheide gleiten, schloss erleichtert die Augen und stützte sich erschöpft mit den Händen auf den Knien ab.
»Bei allen Göttern«, hörte er Gideon keuchen. »Bist du in Ordnung, Junge?«
Er öffnete die Augen und sah Caitlin mit völlig verschrecktem Gesicht vor sich stehen. Sie rang die Hände und war sich offensichtlich unschlüssig, ob sie sich ihm überhaupt nähern konnte. Er streckte lächelnd den Arm aus, und sie warf sich sofort mit einem Schluchzen an seine Brust.
»Verzeih mir bitte! Ich dachte doch, ich könnte dir helfen«, erklärte sie unglücklich.
Er strich ihr tröstend mit dem Daumen durchs Gesicht. »Schon gut, mein Herz! Es ist ja nichts geschehen.«
»Ach, nein?«, fragte sie kläglich und berührte vorsichtig einen angesengten Ärmel.
Sein Blick wanderte bereits den Pfad hoch zum Höhleneingang. Der Spalt im Felsen war mittlerweile groß genug, um Durchlass zu gewähren.
»Das ist weiter nichts. Nur der Stoff ist verbrannt. Aber ehrlich gesagt bin ich doch ziemlich erledigt.«
Er hielt seine Frau fest, die sofort ihre heilende Kraft anwenden wollte, und schüttelte den Kopf. »Lass nur! So schlimm ist es nicht. Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich nur lieber zurückreiten.«
Caitlin stimmte sofort erleichtert zu, denn ihr graute schrecklich davor, die Quelle erneut versiegeln zu müssen.
Gideon hingegen musterte seinen Begleiter nachdenklich. Dieses Verhalten passte genauso wenig zu Rhonan wie seine schroffe Art zuvor. Irgendetwas stimmte hier nicht, er wusste nur beim besten Willen nicht, was.
Am nächsten Tag zog es Rhonan schon in aller Frühe wieder zum Wolkenberg. Die Sonne ging gerade im prächtigen Morgenrot auf und schien die ganze Welt durch ihr Farbenspiel zu verzaubern, aber er hatte keinen Blick übrig für dieses wunderschöne Naturereignis. Versonnen saß er am Eingang des Wolkenpfades auf einem Stein und starrte blicklos vor sich hin. Er wusste längst, was er zu tun hatte, aber er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, seine Aufgabe auch in Angriff zu nehmen.
Erschrocken fuhr er bei einem Geräusch herum, und ein erfreutes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Derea?«
Er sah den dunklen, fast feindseligen Blick seines Freundes und dass dessen Hände auf den Waffen lagen, und sein Lächeln verschwand umgehend wieder.
»Sag mir, wer du bist!«, forderte der mit kalter Stimme und ohne jeden Gruß.
Rhonan nickte matt. »Alle anderen wissen es schon. Ich bin der Sohn des Königs von da’Kandar und der unsterblichen Palema. Mein Bruder nannte mich einen Wechselbalg, und Ayala hielt mich für widernatürlich. Sie haben wohl beide recht!«
Derea rührte sich nicht und zeigte auch keinerlei Gemütsregung. »Dann stimmt es also, was Marlena sagte. Du bist nicht von dieser Welt.«
»Jedenfalls nicht so ganz! Willst du mich jetzt deswegen töten?«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Nein, deswegen nicht!«
Diese Antwort sagte ihm zumindest, dass sein Freund ihn tatsächlich fordern wollte. »Ich wusste, dass Martha mit den Siegeln unterwegs war. Hätte ich es nicht einfach vergessen, könnte Juna vielleicht noch am Leben sein. Ist das der Grund?«
Erneut schüttelte sein Schwager den Kopf. »Nein, Martha wollte mich töten. Ich trage daher die Schuld an Junas Tod. Das ist auch nicht der Grund.«
»Dann sag ihn mir!«
»Ich habe die Zukunft gesehen. Du wirst die Menschen ins Verderben führen.«
Beide maßen sich längere Zeit mit ernsten Mienen.
»Werde ich das?«, fragte Rhonan schließlich kaum hörbar.
»Was wirst du tun?«, fragte Derea zurück.
»Was meine Bestimmung ist!«
»Die da wäre?«
Rhonan seufzte, schloss die Augen, rieb sie, als wäre er unendlich müde, öffnete sie wieder und warf Derea einen langen, beschwörenden Blick zu. »Wir beide haben sehr viel zusammen erlebt. Oft genug hing das Leben des einen dabei von der sicheren Hand des anderen ab. Wir haben, seit wir uns kennen, immer blind aufeinander vertraut und haben es tatsächlich nie bereuen müssen. Ich bitte dich heute zum
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