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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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sich gepachtet?«
    »Jedenfalls den größeren Teil davon«,
sagte ich. »Darf ich mich niederlassen.«
    »Bitte.« Sie nahm den Hörer ab und
drückte einen Knopf. Ihr Gesicht wurde ehrerbietig.
    »Herr Professor — Dr. Thomsen ist da.
Söll er kommen?«
    Aus dem Hörer kam leises Gemurmel.
    »Bitte? — Ja, ist recht, Herr
Professor.«
    Sie legte auf und wies auf das
chromumrandete Mattglas neben der Tür.
    »Wenn Eintreten kommt, können Sie rein.
Es ist eine Doppeltür.«
    »Besten Dank«, sagte ich. »Werde mich
in Geduld fassen.«
    Sie stand auf. »Tun Sie das. Ich muß
auf ein paar Minuten weg.« Sie verschwand durch die Tür zum Nebenkorridor. Ich
sah abwechselnd aus dem Fenster und auf die Leuchtplatte. Nichts geschah.
    Ich zog meinen Schlips fest, sah nach,
ob meine Fingernägel sauber waren, und rieb die Schuhkappen an den Hosenbeinen.
Zwischendurch versuchte ich, mir die bevorstehende Unterredung auszumalen.
Hoffentlich ging es harmloser zu als bei Steimle.
    In den nächsten Minuten probierte ich,
wie lange ich den Atem anhalten konnte. Ich machte das immer, wenn ich irgendwo
warten mußte. Früher hatte ich beachtliche Zeiten erzielt. Jetzt ging es nicht
mehr so gut. Das kam von der Raucherei. Als ich den eigenen Rekord zum
drittenmal verbessern wollte, passierte es.
    Das Licht hinter der Mattglasscheibe
flackerte auf und erlosch. Ich stand auf und wartete. Das Flackern kam noch
einmal. Dann blieb die Schrift stehen.
    Bitte eintreten! Ich öffnete die Tür und sah die
Lederpolsterung der zweiten vor mir. Zu klopfen gab es da nichts. Ich drückte
die Klinke herunter und trat ein.
    Das erste Mal hatte ich den gleichen
Anblick leidlich überstanden. Diesmal erschrak ich um so mehr, und mein Herz,
das von dem blödsinnigen Luftanhalten sowieso noch hastig schlug, fing an zu
galoppieren.
    Der Schreibtisch stand zwei Meter von
der Tür entfernt. Professor Stickhahn war vornübergefallen. Ich sah auf seinen
weißen Kittel und seinen Rücken. Unter dem linken Schulterblatt saugte sich ein
sattes, feuchtes Rot in den weißen Mantel.
    In der Mitte des blutigen Fleckes sah
ich den silbernen Griff eines Skalpells.
    Wenn man eine Situation schon einmal
erlebt hat, schaltet man im allgemeinen etwas schneller. Mit zwei Sätzen war
ich an der anderen Tür. Nur da konnte der Mörder das Zimmer verlassen haben.
    Abgeschlossen!
    Ich sauste durch das Vorzimmer um die
Ecke. Jetzt den Kerl erwischen und ihm langsam den Hals umdrehen, dachte ich,
das wäre schön.
    Auf dem Flur war kein Mensch. Ich riß
an der äußeren Tür des Chefzimmers.
    Auch verschlossen.
    Ich lief zurück. Der alte Mann stöhnte,
als ich ihn anhob. Sein Körper war warm, und seine Hände zuckten. Eben im
Moment mußte es passiert sein. Mit der linken Hand hatte er noch den Knopf des
Lichtsignals gedrückt. Und jetzt würde er unter meinen Händen sterben.
    Ich hielt ihn im Sessel aufrecht.
Anlehnen konnte ich ihn nicht, der Griff des Messers wäre gegen die Lehne
gestoßen. Es war schon tief genug drin. Ich wollte ihn auch nicht liegenlassen
und Hilfe holen. Ich wollte bei ihm bleiben.
    Er begann flach und stoßweise zu
husten. Feine rote Bläschen sprühten zwischen seinen Lippen hervor. Er stieß
alle Luft heraus, die in ihm war. Aber er atmete nicht wieder ein.
    Von draußen kamen Schritte, und im
nächsten Augenblick stand die Mehring im Türrahmen. Ihre Hand fuhr zum Mund,
und ihr Gesicht wurde weiß. Das Skalpell konnte sie nicht sehen.
    »Holen Sie Oberarzt Steimle!« rief ich.
»Schnell! Er hat einen Herzanfall.«
    Erst sah es aus, als wollt sie
umkippen. Dann drehte sie sich und rannte hinaus.
    Steimle schien in seinem Zimmer gewesen
zu sein, denn er kam sofort. Er wollte irgendwas Scharfes sagen, aber sein Gesicht
erstarrte, als er Stickhahn und mich sah. Er kam näher, und ich deutete stumm
auf das Skalpell. Seine Augen traten aus den Höhlen, und seine Stirnadern
schwollen an. Mit hastiger Bewegung fühlte er den Puls, sah nach den Pupillen.
Er hing sein Stethoskop in die Ohren und knöpfte Mantel und Wäsche des
Professors auf. Seine Finger zitterten dabei. Dann horchte er lange, mit
mahlendem Unterkiefer.
    Stickhahn hatte aufgehört zu husten.
Seine Haut wurde kühler, und die frische Farbe schwand mehr und mehr aus seinem
Gesicht.
    Da war keine Hoffnung mehr.
    Steimle nahm den Trichter weg und
richtete sich auf. Stumm sahen wir uns über die zusammengesunkene Gestalt
hinweg an.

IX
     
    Steimles Stimme brach die Stille. »Wie
ist das

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