Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
ich es sagen, dachte ich.
    Ich ahnte nicht, wie bald ich ihn wiedersehen
sollte.

VII
     
    Montags zur Arbeit zu gehen, ist immer
eine häßliche Angelegenheit. Ich schaffte es leichter, weil ich Evelyn sehen
würde.
    »Wie waren die Beschwerden?« fragte
ich.
    »Keine*. Ich habe geschlafen wie ein
toter Igel. Und Sie?«
    »Unruhig. Viel geträumt.«
    »Im Alter braucht man nicht mehr so
viel Schlaf.«
    Ich überlegte gerade, was ich mit ihr
machen sollte. Da kam Ruschke.
    »Morjen, die Herrschaften. Wünsche
sanft jeruht zu haben.«
    Er wandte sich an mich. »Wat unsa hoha
Herr Chef is, der is zurück. Wennse sich ihm präsentieren wolln, denn sammelnse
sich.«
    »Danke schön«, sagte ich. »Prima. Wann
kann man ihn erreichen?«
    »Rufense am besten seine holde Stütze
an. Die wees det bessa als er.«
    Ich hängte mich ans Haustelefon. Ja,
das wäre möglich. Für drei Uhr würde sie mich notieren.
    »Na?« fragte Ruschke.
    »Wie auf der Börse«, sagte ich. »Ich
bin notiert. Um drei.«
    »Denn hata seine schöpfarische Pause«,
sagte Ruschke, respektlos wie immer. »Und Sie ham noch jenuch Zeit, Ihr Jesicht
in ehrfürchtje Falten zu lejen.«
    Er ging, und Evelyn holte den ersten
Patienten vom Flur.
    Im Laufe des Vormittags passierte
manches, was später von Bedeutung war. Wir hatten etwa eine Stunde segensreich
gewirkt, als Steimle erschien. Zwei Assistenten von der Chirurgie waren bei
ihm. Er sah sich ein paar Aufnahmen vor dem Leuchtschirm an. Sie sollten
wiederholt werden. Bei ihm mußte immer alles wiederholt werden.
    »Herr Thomsen«, sagte er unfreundlich,
»das Sprunggelenk ist verdreht. So kann kein Mensch die Bilder beurteilen. Ich
bitte mir eine anständige Technik aus. Dem Chef dürften solche Bilder gar nicht
erst unter die Augen kommen.« Er wandte ruckartig den Kopf zu mir. »Waren Sie
schon bei ihm?«
    »Ich bin für drei Uhr bestellt«, sagte
ich.
    »Um drei«, wiederholte er. »Gut. Und
denken Sie bitte an das, was ich sagte.«
    »Jawohl, Herr Oberarzt.« Der sollte
mich nicht noch mal aus der Ruhe bringen, der nicht.
    »Der blöde Kerl«, sagte Evelyn, als er
draußen war, »immer hat er was zu meckern. Der Chef sagt gar nichts. Nur er ist
das.«
    »Tragen wir es mit Würde, Mädchen«,
sagte ich. »Er kriegt nun mal mehr Geld.«
    Wenig später kam Lund und fragte, wie
es ginge. Wir sagten, es ginge gut.
    »Was wollte Oberarzt Steimle?«
    »Uns ein paar Aufnahmen um die Ohren
hauen«, antwortete ich und versuchte, niedergeschlagen auszusehen. »Müssen
wiederholt werden.«
    Ich sah, daß Lund sich ärgerte.
Übergangen zu werden, liebte er nicht. Auch Beschwerden hatten zuerst bei ihm
zu landen.
    »Rufen Sie mich, wenn der Patient
wiederkommt.«
    »Jawohl, Herr Oberarzt.«
    »Übrigens — um drei Uhr haben wir
Demonstration.«
    »Um drei Uhr bin ich zu Professor
Stickhahn bestellt«, sagte ich mit einer Stimme wie ›So ein Pech«. »Er fehlt
mir noch.«
    »So, so.« Lunds Augen blinzelten hinter
dem Kneifer, aber er lächelte nicht. »Dann kommen Sie, wenn Sie das erledigt
haben.«
    »Jawohl«, sagte ich nochmals.
    Aber ich kam nicht dazu.
     
     
     

VIII
     
    Als ich mich aufmachte, war es zehn
Minuten vor drei. In der Kantine war es voll und laut, und fahler Qualm hing
unter der Decke.
    Ich ging den Flur zurück bis zum
Paternoster. Mit leisem Summen stiegen die Kabinen aus der Erde und versanken.
     
    Nur für Personal! Benutzung für
Patienten verboten!
    Weiterfahrt durch Boden und Keller
ungefährlich!
     
    Ich ließ mich anheben und lehnte mich
an die Rückwand. Angenehm das. Jeden Tag hätte man so zwanzigmal rauf- und
runterfahren müssen, besonders in meinem Dienstalter.
    Auf den Korridoren im dritten Stock
begegneten mir nur wenige Leute. Es war die Zeit, in der die Patienten
schliefen und die Schwestern Kaffee tranken. Ich folgte den Pfeilen »Chefarzt
der chirurgischen Abteilung«. Meine Gummisohlen quietschten auf dem Linoleum.
    Rechts ging ein Quergang vom
Hauptkorridor ab. Jetzt kannte ich die Gegend wieder. Neulich, beim erstenmal,
war ich von der anderen Seite gekommen. Der Raum, in dem Stickhahns Sekretärin
saß, lag vor der Ecke, und zwei Türen führten hinein. Das nächste Zimmer war
sein eigenes.
    Ich klopfte und schob mich durch die
Tür. Die Mehring — so hieß die Sekretärin — sah auf.
    »Da sind Sie also.«
    »Da bin ich also.«
    »Pünktlich wie das Christkind.«
    »Kommt wohl nicht oft vor, was?«
    »Meinen Sie, die Preußen hätten die
Pünktlichkeit für

Weitere Kostenlose Bücher