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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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möglich«, sagte er heiser. »Wie ist das möglich? Wer hat...«
    »Ich bin sofort rausgerannt«, sagte
ich. »Es war niemand mehr da.«
    Er sah mich starr an, mit leeren Augen.
Wenn er es war, dachte ich plötzlich. Sein Zimmer lag ganz in der Nähe. Aber
dann schämte ich mich. Was würde ich denken, wenn er mich verdächtigte?
    »Herr Oberarzt«, sagte ich leise, »hier
muß sofort die Polizei her. Wenn Sie erlauben, mache ich das.«
    Ich dachte plötzlich an Nogees und
seinen dunklen Indianerkopf. Wäre gut, wenn er käme.
    »Ja«, sagte Steimle schwer, »ja, machen
Sie das.«
    Ich ließ den Toten sacht nach vorn
gleiten, bis er wieder auf der Platte auflag. Steimle blieb mit ihm allein.
    Die Mehring machte ängstliche Augen.
Die Tränen standen ihr hinter den Lidern.
    »Wie geht’s ihm?«
    »Sehr schlecht«, sagte ich. »Niemand
darf rein. Ich muß telefonieren — wie kriege ich das Amt?«
    Sie zeigte mir den richtigen Knopf, und
ich suchte im Telefonbuch herum. Zweimal wurde ich weiterverbunden. Dann kam
Nogees.
    »Hier Doktor Thomsen«, sagte ich. »Herr
Nogees - Sie kennen mich seit der Geschichte mit Wildbolz. Eben ist hier
dasselbe passiert. Im Krankenhaus. Und ich bin wieder der ehrliche Finder.«
    »Ach«, sagte Nogees. Er schien gar
nicht erstaunt.
    »Ja. Können Sie kommen?«
    »In einer Viertelstunde«, sagte er.
»Niemand dranlassen.«
    »In Ordnung«, sagte ich. »Dritter
Stock, Zimmer von Professor Stickhahn.«
    Wir hängten ein.
    »Was ist denn?« fragte Fräulein
Mehring. Ihre Stimme klang schrill und hoch.
    »Sie erfahren es noch«, sagte ich
begütigend. »Wimmeln Sie alles ab, was kommt. Bis auf Herrn Nogees.«
    Ich ging zurück ins Chefzimmer. Steimle
hatte sich einen Stuhl genommen und saß neben dem Toten. Sein Gesicht war grau
und alt.
    »In einer Viertelstunde«, sagte ich.
»Wir müssen alles lassen, wie es ist.«
    Er nickte. Ich setzte mich auf das
Ledersofa in der hintersten Ecke des Zimmers.
    Die Minuten schlichen wie Schnecken.
Steimle saß unbeweglich, und ich rührte mich nicht. Eine Totenwache in Weiß.
Draußen schien die Sonne, und ihr Licht zeichnete helle Vierecke auf den Boden.
Der dumpfe, wehende Lärm der Großstadt klang von weither.
    Ich dachte an Wildbolz. Genauso hatte
er dagesessen, mit dem Skalpell an derselben Stelle.
    Wer wird jetzt Chef werden, dachte ich.
Steimle? Ein Neuer? Was würde Nogees sagen? Und Evelyn? Für ein paar Sekunden
sah ich ihre hellen Augen vor mir, und meine Gedanken gehörten ihr.
    Dreizehn Minuten waren vergangen. Dann
wurde die Tür vorsichtig geöffnet, und Nogees stand auf der Schwelle.
    Mit einem Blick sah er uns alle
zugleich. Dann drehte er sich, sagte etwas über die Schulter und schloß die Tür
hinter sich. Steimle und ich standen auf. Nogees begrüßte erst ihn, dann mich.
Er trug denselben Anzug wie damals. Sein Haar glänzte von Brillantine, und
seine Augen waren so dunkel und melancholisch wie die von Winnetou, bevor er
starb.
    Er stellte sich dem Schreibtisch
gegenüber und betrachtete den Toten. Dann zog er den Blick zu Steimle.
    »Wie lang ist er tot, Herr Doktor?«
    »Herr Thomsen wird es besser wissen«,
sagte Steimle.
    Nogees wandte sich zu mir. »Nun?«
    »Keine halbe Stunde«, sagte ich. »Er atmete
noch, als ich reinkam.«
    »Hm«, machte Nogees. »Erzählen Sie.
Können wir uns setzen?«
    Wir setzten uns in die Besucherecke,
und ich fing an. Nogees unterbrach mich nicht, bis ich fertig war. Steimle
ergänzte meine Geschichte mit wenigen Worten.
    »Wieviel Zeit verging zwischen dem
Anruf von Fräulein Mehring und Ihrem Eintreten?« fragte mich Nogees.
    »Sechs, acht Minuten. Mehr nicht.«
    »So. Und Sie liefen sofort wieder
raus?«
    »Ja. Ich hoffte...« Ich sprach nicht
weiter.
    Seine Augen wanderten zu der Tür, die
zum Hauptkorridor hinausführte. »Sie war verschlossen?«
    Ich nickte. »Alle beide. Ich kam hier
nicht raus und von außen nicht rein.«
    Nogees fragte: »Herr Doktor Steimle,
haben Sie versucht, durch diese Tür hereinzukommen?«
    »Nein«, sagte Steimle sofort. »Ich lief
hinter Fräulein Mehring her. Die Tür ist meistens abgeschlossen, wenigstens die
innere. Der Chef benutzt —« er stockte — »benutzte sie als einziger.«
    »Aha.« Nogees stand auf. Er schob die
Hände in die Taschen und ging langsam auf die Tür zu. Dann zog er die rechte
Hand mit seinem Taschentuch aus der Tasche, 1 faßte vorsichtig die
Klinke an, drückte sie herunter und zog. Er ließ los und ging in die Kniebeuge.
Sein

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