Das vierte Skalpell
Steimle
der Mann zwischen den Türen war, wäre das Klügste gewesen, was er hätte tun
können, die äußere Tür wieder abzuschließen. Entweder als er fortging oder als
er allein in diesem Zimmer war. Dann wäre ich nicht ohne weiteres auf die
letzte Möglichkeit gekommen. Er schied aus, und Sie säßen noch tiefer drin.«
Ich fing an einzusehen, daß
Kriminalistik eine Sache für sich war.
»So kommt außer Ihnen beiden noch ein
Dritter in Betracht«, fuhr Nogees fort. »Freuen Sie sich, daß es so ist, Sonst
bliebe Ihr Bett heute abend leer.«
»Das war es schon öfter«, sagte ich.
»Wissen Sie übrigens, daß Wildbolz hier im Haus gearbeitet hat?«
Seine Lider zogen sich zusammen.
»Hier?«
»Ja. Letzten Sommer. Auf der
Chirurgie.«
»Woher wissen Sie das?«
Die halbe Wahrheit würde beiden nicht
weh tun, Evelyn nicht und ihm nicht.
»Ich erzählte meiner Assistentin, von
wem ich mein Zimmer hätte. Sie erinnerte sich an den Namen. Er war hier Famulus
und kam immer mal runter ins Röntgen.«
»Hm.« Nogees schob die Unterlippe vor.
»Interessant. Haben Sie ihr erzählt, daß Wildbolz tot ist?«
»Nein.«
»Sonst jemandem?«
»Auch nicht.«
»Sehr schön. Tun Sie es auch in Zukunft
nicht.«
»Mache ich.« Ich zeigte auf Stickhahns
blutigen Rücken. »Glauben Sie, daß die beiden Fälle zusammenhängen?«
Nogees stand auf. »Ich glaube gar
nichts, Wichtig ist nur, was ich weiß. Gehen Sie jetzt. Wenn ich Sie brauche,
melde ich mich.«
»Schönen Dank«, sagte ich.
Als ich an der Tür war, rief er mich
noch einmal. »Thomsen!«
»Ja?«
»Hatten Sie schon Besuch in Ihrer
Wohnung?«
Ich zögerte. Was wollte er?
»Niemanden, der nicht eingeladen war«,
sagte ich dann.
»Gut. Wenn einer ohne Einladung kommen
sollte, passen Sie auf. Und halten Sie seine Adresse fest.«
»Wenn ich es noch kann, gern«, sagte
ich.
Im Vorzimmer hockte die ratlose Mehring
zwischen Nogees’ Leuten. Ein paar erkannte ich wieder. Aber ihre Gesichter
waren so leer, daß ich sie nicht grüßte.
Dann ging ich den Weg zurück, den ich
gekommen war.
*
Die Aufregung am nächsten Tag war
beträchtlich. Die Geschichte war im Hause herum. Überall standen Häufchen von
flüsternden Leuten, und alle schlichen einher, als fürchteten sie, jemanden aufzuwecken.
Die Kollegen, denen ich begegnete, faßten mich schärfer als sonst ins Auge, und
die Schwestern huschten mit scheuem Gruß vorbei.
Ich hatte es eilig, Evelyn zu sprechen.
Als ich gestern von Nogees heruntergekommen war, hatte ich sie nicht mehr
erwischt. Ich wollte sie ein bißchen auf ihn vorbereiten. Als ich sie begrüßte,
waren ihre Augen neugierig und mitleidig zugleich. Aber sie fing nicht von
selbst davon an. Ich stellte meine Mappe auf das Fensterbrett, schob die Hände
in die Taschen und lehnte mich neben sie an die Wand, wie jeden Morgen.
»Wie meine Vorstellung verlaufen ist,
wissen Sie wohl schon?«
»Es muß furchtbar gewesen sein«, sagte
sie leise. »Sind Sie sehr erschrocken?« (
Ich gab es zu. Dann fragte ich: »Sind
Sie verhört worden?«
»Nein. Meinen Sie...«
»Kann sein, daß es noch kommt«, sagte
ich. »Der Kommissar ist nett. Man merkt es nur nicht gleich. Er heißt Nogees
und sieht aus wie ein Siouxkundschafter.«
Ich wartete ein paar Sekunden, bevor
ich den nächsten Satz sagte.
»Wundem Sie sich nicht, wenn er Sie
nach Wildbolz fragt.«
Sie hob überrascht den Kopf. »Was weiß
er von Wildbolz?«
»Daß wir beide mal über ihn gesprochen
haben«, sagte ich ruhig. »Und zwar hier im Institut. Ich nannte den Namen, und
Sie erinnerten sich daran,. Das ist alles. Weder Sie noch Ihr Bild waren jemals
in meiner Wohnung. Verstehen Sie?«
»Ja, schon — aber was hat denn Wildbolz
mit der Geschichte zu tun?« Sie sah ratlos aus.
»Weiß ich nicht.« Ich log jetzt schon
besser, aber mir war nicht sehr behaglich dabei. Wie sollte sie sich das zusammenreimen?
Ich war froh, als Ruschke hereinkam. Er strahlte Zuversicht aus.
»Na, Dokta — allet einijamaßen
ibastanden?«
»Ja.« Ich wies auf das »Abendblatt« in
seiner Kitteltasche.
»Schon was drin?«
»Noch nich«, sagte er und leckte an
seinen Lippen. »Heute abend kommt et. Ich zittere schon vor Bejierde. Wie hat’n
Ihn’ der Indianerhäuptling gefall’n?«
»Er hat mich nicht mitgenommen«, sagte
ich. »Insofern gut. Hat er Sie auch ausgequetscht?«
»Hat er. Fast alle von de Chirurgie.
Konnte ihm leida mit nischt dien’.« Er redete leiser. »Aba et sin ‘n paar
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