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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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dachte, er wäre gekommen und hätte dir was getan. Ich bin
bald gestorben im Aufzug,«
    Sie streichelte meine Hände, und ich
hielt die ihren fest.
    »Ich habe ihn für den Mörder gehalten«,
sagte ich. »Ich glaubte, er hätte Stickhahn erstochen, um Chef zu werden. Und
jetzt dich, weil du ihn nicht mochtest.«
    Sie lächelte.
    »Alles schon dagewesen. Du hast
furchtbar geschrien, Evelyn. Durch den Schacht klang es noch furchtbarer.«
    »Ich bin so erschrocken«, sagte sie.
»Ich — ich dachte, er steigt aus — ich wollte ihn anreden — und dann fuhr er
weiter. Es war entsetzlich.«
    »Es ist vorbei«, sagte ich.
    »Es war nicht das allein«, fuhr sie
leise fort. »Ich möchte dir etwas sagen — aber ich traue mich nicht!«
    Ich zog sie näher zu mir heran. »Sag’s
ruhig. Du kannst alles sagen. Nur nicht, daß du mich nicht mehr sehen willst.«
    Ihre Finger spielten mit meinen.
    »Du darfst nicht böse sein — weißt du,
als ich ihn sah — im ersten Moment, da — da dachte ich...«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich hätte es
auch gedacht.«
    »Versteh mich — du hattest Wut auf ihn —
du fuhrst rauf — und gleich darauf kam er...«
    Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
Ich streichelte ihre Schulter.
    »Es war nur der allererste Moment«,
flüsterte sie. »Ich hatte solche Angst — deinetwegen.«
    »Schon in Ordnung«, sagte ich. »Ganz
klar.«
    Sie richtete sich auf. »Nach einer
Sekunde wußte ich, daß du es nicht getan hast. Aber ich schäme mich schon wegen
dieser Sekunde.«
    »Hör auf mit Schämen«, sagte ich
verwirrt und glücklich. »Ich hätte ihn umgebracht, wenn er dir etwas getan
hätte. Also kannst du es mir auch Zutrauen. Mancher ist ein Mörder, dem man es
nicht zutraut. Wir werden es noch merken.«
    Unsere Blicke verfingen sich ineinander.
    »Du bist nicht böse?«
    »Keine Spur. Ich bin froh, daß ich ihn
nicht umzubringen brauchte.«
    Es verging einige Zeit. Ich sah, daß
Evelyn wieder nachdenklich wurde.
    »Mir ist noch etwas eingefallen«, sagte
sie leise.
    Ich wartete.
    »Hör mal. Glaubst du, daß Wildbolz
wiedergekommen ist?«
    »Wer?«
    »Wildbolz.«
    Ich atmete tief und lautlos.
    Wildbolz. Wie ein Schatten lief dieser
Name hinter mir her. Evelyns Augen gingen umher, als fürchtete sie einen
Lauscher.
    »Sie haben ihn immer schlicht
behandelt«, sagte sie gepreßt. »Steimle und auch Stickhahn. Er war so
ungeschickt und hilflos. Immer war Streit dort oben. Ich habe Angst, Hans. Wenn
er zurückgekommen ist?«
    »Er kommt nicht zurück«, sagte ich.
»Niemals.«
    »Woher weißt du das? Ich kenne ihn
besser. Er war klein und voll von Komplexen. Und er hatte Grund, die beiden
umzubringen. Wenn überhaupt jemand einen Grund hatte, dann er.«
    Ich sah sie an und überlegte. Nogees
hatte mich gebeten, nichts von dem Mord an Wildbolz zu erzählen. Ob Evelyn den
Mund halten würde, konnte ich nicht voraussehen. Aber wie ein Klatschweib sah
sie nicht aus. Ich liebte sie, und sie sollte vor einem Toten keine Angst
haben.
    »Wenn du mir versprichst, zu niemandem
darüber zu reden, sage ich dir, was mit Wildbolz los ist.«
    »Ich verspreche es.«
    »Gut. Und außerdem mußt du versprechen,
dich nicht aufzuregen. Für heute abend reicht die Aufregung.«
    »Ich rege mich nicht auf.«
    »Wildbolz ist tot«, sagte ich. »Er war
es schon, als ich ihn zum erstenmal sah. Er wurde in der Wohnung erstochen, die
ich jetzt habe und in der dein Bild stand.«
    Evelyn hielt sich aufrecht, aber ihr
Gesicht wurde so weiß wie die Wand.
    »Ist das wahr?«
    »Es ist wahr. Nogees bearbeitet auch
seinen Fall. Wildbolz kann die beiden also nicht umgebracht haben.«
    Ihre Augen gingen durch mich hindurch,
als sähe sie mich gar nicht.
    Ihre Lippen zitterten leise.
    »Er auch«, sagte sie endlich mit
ausgebrannter Stimme, »er auch! Mein Gott — wer macht nur so was?«
    Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung.
Sicher ist, daß die drei Morde irgendwie und irgendwo zusammenhängen. Sie haben
ein gemeinsames Motiv. Findet man das heraus, findet man auch den Mörder.«
    Evelyn schwieg lange. Dann fragte sie
ängstlich: »Und es macht dir nichts aus, dort zu wohnen?«
    »Ich war neugierig«, sagte ich. »Und
froh, so schnell ein anständiges Zimmer zu kriegen. Das ist alles. Und als ich
dich sah, wollte ich natürlich auch wissen, was es mit deinem Bild auf sich
hatte.« Ich streichelte ihre Flaumhaare. »Aber ich habe dich nicht nur deswegen
eingeladen.«
    »Ich war nie vorher in dieser Wohnung«,
sagte sie. »Dann

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