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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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sein,
dachte ich.
    Steimle, dieser Hund! Wenn er ihr etwas
getan hatte, dann hatte er auch Wildbolz und Stickhahn umgebracht. Den Jungen
aus Eifersucht und den Alten aus Neid und Ehrgeiz. Er hatte Krach mit Wildbolz
gehabt. Er war in der Nähe gewesen, als der Professor ermordet wurde. Was hatte
Nogees gesagt? »Steimle hätte die äußere Tür wieder abschließen sollen! Dann
wäre ich nicht auf die Idee gekommen, daß er zwischen den Doppeltüren gestanden
hat!«
    Unsinn! Er ließ die äußere Tür
unverschlossen, um den großen Unbekannten einzuführen, an den Nogees jetzt
glaubte! Er wollte, daß der Kommissar so dachte.
    Diesmal kommt er nicht davon, dachte
ich bebend. Ich finde ihn und schlage ihn zu einem blutigen Lappen, und wenn
ich den Rest meiner Tage im Zuchthaus sitze!
    Das hell erleuchtete »K« tauchte an der
Wand des Schachtes auf. Ich sprang hinaus, strauchelte. Der Gang war leer. Die
Birnen warfen ein kalkiges Licht wie in einem Leichenschauhaus. Ich raste zur
Tür des Archivs und riß sie auf.
    Evelyn saß vor dem Leuchtschirm.
    Ihr Kopf lag zwischen den Armen auf dem
Tisch. Ein paar Herzschläge lang wurde mir bei vollem Bewußtsein schwarz vor
Augen. Ich sah nichts mehr. Ich wünschte mit jeder Faser meines Körpers, daß es
so bliebe und daß ich das Messer in ihrem Rücken nicht sehen müßte. Aber die
Finsternis ging weg.
    Es war kein Messer da. Ihr Rücken war
schlank und weiß und zuckte leise, als ob sie weinte.
    Mit einem Satz war ich bei ihr und nahm
sie in die Arme. Ich küßte ihre Stirn, ihre Augen, ihren Mund. Ich stammelte
alles mögliche durcheinander. Sie preßte sich an mich, und ich vergaß Mord und
Steimle für geraume Zeit.
    »Was war denn?« fragte ich. »Warum hast
du geschrien? Sag mir’s! Was war es?«
    »Gott sei Dank, daß du hier bist«,
hauchte sie. Sie sagte du zu mir und ich zu ihr, als wäre es immer schon so
gewesen, ohne Schnaps und ohne künstlichen Kuß.
    »Was ist, Evelyn?«
    »Steimle«, sagte sie.
    »Was hat er gemacht?«
    Sie schüttelte den Kopf und schluchzte.
Ich wartete, aber die Antwort blieb lange aus.
    »Nichts«, sagte sie. »Im Paternoster.
Er war im Paternoster.«
    Sie rutschte wieder vornüber.
    Ich nahm sie hoch und streichelte ihr
Haar. Wir waren ganz dicht beieinander, und ich spürte den Schlag ihres
Herzens. Sie lebte, und sie gehörte zu mir! Alles andere war weniger wichtig.
    »Was ist mit Steimle?« fragte ich
wieder.
    »Ich sah ihn im Paternoster, als ich
zum Waschen gehen wollte«, flüsterte sie. »Deswegen habe ich geschrien. Ich
glaube, er ist...«
    Sie verstummte.
    »Bleib hier«, sagte ich. »Bleib hier
sitzen, und rühr dich nicht weg.«
    Ich ließ sie los, ging ein paar
Schritte, kam zurück.
    »Ich liebe dich, Evelyn«, sagte ich.
    Dann ging ich hinauf.
    Der Paternoster lief unberührt und
gleichmäßig.
    Die Kabinen stiegen und versanken.
Unter dem leisen Summen der Maschine empfand ich die Stüle im Keller immer
deutlicher und immer lastender.
    Dann hörte ich zum zweiten Male einen
Schrei. Er kam von oben, lang, klagend und ängstlich. Er nahm kein Ende.
    Meine Achselhöhlen klebten, und ich
könnte mich nicht rühren. Ich starrte auf den Aufzug und wußte nicht, was ich
machen sollte.
    Dann kam Steimle.
    Der Dozent, Oberarzt, derzeitiger Chef
der chirurgischen Abteilung, Verfasser vieler wissenschaftlicher Arbeiten und
ein Könner in der Lungenchirurgie.
    Von oben kam er herunter, als wäre er
auf dem Weg zur Hölle. Er kauerte auf dem Boden der Kabine. Sein Körper lehnte
in der rechten hinteren Ecke und bildete mit den Beinen ein verkrümmtes S. Sein
Gesicht war an die Rückwand gepreßt. Das scharfe Savonarolaprofil trat jetzt im
Tode noch härter hervor. Die Augen hinter der Brille waren gläsern, aber sie
schienen noch immer scharf und durchdringend, als sähe er jemanden vor sich,
der ihm unerreichbar war.
    Im Halbdunkel der Kabine war das
Skalpell neben seiner Wirbelsäule kaum zu erkennen.
     
     
     

XIII
     
    Ich blieb stehen, ohne Bewegung und
ohne Empfindung. Wie durch einen Schleier sah ich ihn an mir vorbeigleiten und
verschwinden. Das erste, was ich wieder scharf wahrnahm, waren die Buchstaben
des Warnschildes.
    Nur für Personal! Benutzung für
Patienten verboten!
    Weiterfahrt durch Boden und Keller
ungefährlich!
    Ja. Ihm würde nichts mehr passieren. Er
konnte ungefährdet weiterfahren bis zum Jüngsten Tag.
    Der rote Knopf unter dem Schild
schimmerte matt.
    Halt bei Gefahr!
    Ich legte meine Hand darauf

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