Das vierte Skalpell
waschen. Die
Wasserleitung lief vorn neben der Treppe. Als sie zurückkam, fuhr Steimle an
ihr vorüber. Sie schrie auf und rannte zurück ins Archiv.
»Haben Sie sonst jemanden gesehen?
fragte Nogees.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Doktor
Thomsen war der erste.
»Wieviel Zeit lag zwischen seinem
Weggang und dem Augenblick, in dem Sie Steimle sahen?«
Evelyn sah unschlüssig zu mir. »Fünf
bis zehn Minuten«, sagte sie dann. »Mehr nicht.«
Nogees wandte sich zu mir, und ich fing
an. Die wenigen Sätze waren schnell erzählt.
»Sie hatten Streit?«
»Den Anfang davon«, sagte ich. »Wegen
des Restes ging ich nach oben.«
»Und Doktor Melchior war der einzige,
dem Sie begegnet sind?«
»Der einzige, den ich kannte«, sagte
ich. »Im zweiten Stock liefen ein paar Leute herum. Schwestern und Patienten.
Aber ich war so schnell vorbei, daß ich niemanden genauer ansehen konnte.«
»So.« Nogees besah seine rechte
Handfläche, als stände dort die nächste Frage. Sie kam und verblüffte mich.
»Wer wußte alles, daß Sie sich am
Siebenten um drei Uhr bei Professor Stickhahn vorstellen wollten?«
»Oh, da muß ich mal nachdenken«, sagte
ich. »Warten Sie — Ruschke sagte mir, daß er zurück wäre — Fräulein Jacobs hat
es gehört. Dann...«
»Dann kam Steimle«, sagte Evelyn.
»Ja, richtig. Mit zwei Kollegen. Er...«
»War Doktor Melchior dabei?«
Evelyn und ich sahen uns an und fingen
zur gleichen Zeit an zu nicken.
»Ja, der war dabei«, sagte ich.
»Und der andere?«
»Wer war denn der andere?« fragte ich
Evelyn.
»Ein Pflichtassistent«, sagte sie. »Ich
kenne ihn vom Sehen, aber ich weiß seinen Namen nicht.«
»Schön. Wie kamen Sie auf Ihre
Vorstellung zu sprechen?«
»Er fragte mich, ob ich schon beim Chef
gewesen wäre«, sagte ich. »Da habe ich ihm erzählt, daß ich um drei hin
wollte.«
»Schön. Wer wußte es noch?«
»Oberarzt Lund. Ihm habe ich es von
selber gesagt, weil zu der Zeit Demonstration sein sollte.«
»Hm. Noch jemand?«
Ich überlegte noch mal, bevor ich
»nein« sagte.
Der Kommmissar wandte sich schnell an
Evelyn.
»Haben Sie mit irgend jemandem über
Doktor Thomsens Absicht geredet?«
»Nein«, sagte Evelyn erstaunt, »nein,
warum sollte ich das tun?«
Nogees kam zu keiner Antwort. Es
klopfte an der Tür, laut und hart. »Ja!« rief Nogees, ohne sich umzuwenden.
Es war einer von seinen Leuten. Er kam
näher, reichte dem Kommissar mit vorsichtiger Bewegung etwas zu, und Nogees
nahm es ebenso vorsichtig. Es war ein weißer Zwirnhandschuh, wie er im
Operationssaal manchmal über den Gummihandschuhen getragen wird. Er war von
feuchten, roten Flecken durch tränkt.
»Wo?« fragte Nogees.
Der andere sprach breit und träge.
»Oben aufm Boden. Ein paar Schritte vom Aufzug.«
Er betrachtete mich aus den
Augenwinkeln, und unter seinem Blick festigte sich die Überzeugung in mir, daß
ich längst sitzen würde, wenn Nogees nicht gewesen wäre.
Evelyn starrte mit weiten Augen auf den
Handschuh. Der Mörder hatte ihn getragen, als er Steimle das Messer ins Herz
stieß. Es gab keine andere Erklärung.
Nogees wendete das Stückchen Stoff hin
und her, und Steimles Blut benetzte seine Finger.
»Gut«, sagte er endlich. »Gehen wir.
Sie bleiben hier, bis ich wiederkomme.«
Der andere Kriminalbeamte schleifte
noch einmal seinen Blick über mich.
Dann gingen sie und ließen uns allein.
Ich holte meine Zigaretten heraus. Wir
rauchten in langen, tiefen Zügen. Langsam löste sich die Spannung in mir. Auch
Evelyn sah ruhiger aus. Der Rauch quirlte in feinen Schwaden zwischen uns. Vom
Flur her klang ein schwerer, langsamer Schritt, der in regelmäßigen Abständen
näher kam und sich wieder entfernte.
Ich drückte meine Zigarette aus. »Geht’s
wieder besser?«
Sie nickte abwesend. Dann sah sie
plötzlich auf und fragte: »Was hat das alles zu bedeuten? Was ist bloß hier
los?«
»Ich weiß es nicht, Evelyn«, sagte ich.
»Ich versuche dahinterzukommen, aber ich weiß es nicht. Irgend jemand in diesem
Haus hat was gegen Chirurgen. Dieser Jemand brachte Stickhahn um und Steimle.
Der Teufel weiß, warum. An einen Wahnsinnigen zu glauben, ist immer billig.
Aber es sieht wie das Werk eines Wahnsinnigen aus. Und jedesmal sitze ich
mittendrin.«
»Ich diesmal auch.«
»Geteiltes Bett ist Doppelbett«, sagte
ich. »Mir wäre es lieber, du wärst heute abend nicht hier gewesen. Das hast du
vom Dickkopf.«
Ich beugte mich vor. »Weißt du, was ich
vorhin dachte? Ich
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