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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Knochenmühle weiter. Ich saugte einen tiefen Zug
aus meiner Zigarette und fing an.
    Ich sah nur nach den Namen der
Operateure. Es war wie immer. Bestimmte Gruppierungen kehrten regelmäßig
wieder, und jedes Team hatte seine Spezialitäten.
    Die großen Lungen hatten Stickhahn und
Steimle zusammen gemacht, mit einem Haufen von Assistenten und Helfern.
Lahringer, der Ersatzboß, schien Spezialist für Brustkrebs zu sein. Melchior
hatte es mit den Bäuchen, Steimle tauchte auch immer auf, wenn es um Knochen
oder Gelenke ging. Kröpfe liefen unter Stickhahn. Narkosefachmann war Spork.
Ich kannte ihn. Er sah aus wie ein veredelter Zigeuner und wurde am Tag
unzählige Male ans Telefon gerufen.
    Meine Zeit war um, ehe ich richtig warm
geworden war. Aber die Gruppe, die ich suchte, hatte ich nicht gefunden. Ich
öffnete das Fenster einen Spalt und ging hinunter. Drei Stunden später war ich
wieder oben. Das Fenster stand noch offen, und der Lichtschein aus dem Zimmer
fiel auf den dunklen, stillen Hof. Ich zog den Vorhang zu und wühlte weiter.
Der August ging zu Ende. Kein Wildbolz war aufgetaucht.
    Wenn sie die Famuli nicht mit
aufgeführt haben, vertrödelst du nur deine Zeit, dachte ich. Aber wer weiß.
Vielleicht hatten sie ihn im ersten Monat noch nicht mit rangelassen.
    Ich holte mir den September aus dem
Kasten und blätterte weiter. Das Papier knisterte unter meinen Händen. Nichts
als Operationen, Anatomie, Nähte, Narkosen, Verbände. Kaum zu glauben, was sich
an einem Menschen alles auf- und abschneiden ließ.
    Mein Elan hatte schon bedenklich
nachgelassen, als er unvermittelt neuen Auftrieb erhielt. Am 13. September
erschien ein Kandidat der Medizin im Protokoll. Aber er hieß Reichardt, nicht
Wildbolz. Immerhin ein Fortschritt. Sie waren mit eingetragen. Dann konnte auch
Wildbolz noch erscheinen.
    Und er tat es. Am 21.9.1958.
    Operateur: Oberarzt Dr. Steimle.
    Assistent: cand. med. Wildbolz.
Narkose: Dr. Nauck.
    Der Patient führte den schlichten Namen
Becker und litt an Hämorrhoiden. Mit Zäpfchen war es wohl nicht mehr gegangen.
Also kam er unters Messer. Alles war glatt verlaufen, kein Sektionsbericht da.
Hämorrhoiden sind lästig, aber selten tödlich.
    Langsamer suchte ich weiter. Erst als
ein Luftzug um mein Gesicht strich, merkte ich, daß sich die Tür leise geöffnet
hatte.
    Rudolfina stand auf der Schwelle.
    »Noch so fleißig?«
    »Noch so fleißig.«
    »Ich — ich wollte nur nach dem
Schlüssel sehen«, sagte sie zögernd. »Gelt, Sie denken daran, wenn Sie
fortgehen! Schön abschließen!«
    »Ich werde Ihre Worte in meinem Herzen
bewahren, Oberschwester«, sagte ich.
    »Gute Nacht. Angenehme Ruhe.«
    »Gleichfalls. Gute Nacht.« Die Tür
schloß sich. Ich brannte mir eine Zigarette an und suchte weiter. Langsam fing
ich an, meine Bandscheiben zu spüren. Sherlock Holmes hat Kreuzschmerzen!
    Wildbolz tauchte noch zweimal auf,
jedesmal bei kleineren Operationen. Dann war auch der September zu Ende. Ich
steckte die Karten zurück und sah zur Uhr. Halb neun. Egal, ich war einmal
dabei und wollte den Kram zu Ende bringen.
    Beim Oktober ließ meine Aufmerksamkeit
bedenklich nach, und die Kreuzschmerzen nahmen zu. Meine Augen flogen über die
Namen und Zeilen, und immer häufiger mußte ich eine Karte zweimal lesen, weil
ich gar nicht aufnahm, was darinstand.
    Dann wurde ich mit einem Schlag
hellwach, wie in der Schule, wenn der Lehrer mich beim Schlafen erwischt hatte.
    Am 19. Oktober standen die drei
untereinander! Der Chef, Steimle, Wildbolz!
    Endlich ein Lichtblick im Dunkel.
    Ich zog die Karte heraus und faltete
den Bericht auseinander.
    Karl Hanacker. Geboren 6.3.03 in
Nürnberg.
    Wohnung: München 23, Königstraße 17 I.
    Diagnose: Ileus.
    Es folgte der Bericht. Nichts
Besonderes war daran.
    Glatter Operationsverlauf. Sie hatten
den Darmverschluß beseitigt und den Bauch zugenäht. Ich sah Wildbolz vor mir,
wie er verzweifelt die Haken hielt und seinen Kragen durchschwitzte.
    Kein Anhalt dafür, daß der Mann
gestorben oder irgend etwas anderes passiert war. Vielleicht späte!, nach der
Operation. Das müßte aus der Krankengeschichte rauszukriegen sein. Ich schrieb
mir den Namen und die laufende Nummer ab. Dann blätterte ich weiter.
    Ein paar Minuten später hatte ich den
zweiten Fall.
    Operateure: Prof. Stickhahn, OA Dr.
Steimle, cand. med. Wildbolz.
    Aber zwischen Steimle und Wildbolz
stand noch ein Name.
    Dr. Bonnet.
    Bonnet?
    Ein paarmal war mir dieser Name schon
in den Berichten

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