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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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daß...«
    »Niemand von ihnen wird wieder
lebendig, wenn wir nicht gehen«, sagte ich mit Überzeugung. »Und verwandt sind
wir auch nicht. Hoftrauer war schon immer eine langweilige Angelegenheit.«
    Ich vermutete stark, daß Evelyn mich in
diesem Augenblick für einen herzlosen Halunken hielt. Vielleicht war ich das
auch, und vielleicht war es nicht richtig, jetzt, wo der Tod so dicht neben uns
zugegriffen hatte, an Fasching zu denken. Aber ohne meine Vergnügungssucht wäre
ich jetzt so tot wie Stickhahn, Steimle und Wildbolz und könnte diese
Geschichte nicht erzählen. Evelyn weiß es heute. Damals wußte sie es nicht, und
es dauerte einige Zeit, bis ich sie herumkriegte. Ich glaube, sie wollte nur
überredet werden, um ihre Bedenken leichter zerstreuen zu können.
    »Am Sonnabend«, sagte sie, »da wäre das
›Fest der damischen Ritter‹. Ich könnte...« Ihre Miene hellte sich plötzlich
auf, wie ein Gletscher bei Sonnenaufgang. »Du mußt das anziehen, was ich dir
bringe! Versprichst du mir das? Sonst gehe ich nicht mit.«
    Angesichts dieser Drohung versprach ich
es sofort. War egal, wie ich aussah. Viel konnte an meiner Erscheinung nicht
verdorben werden.
    »Am Freitagabend kann ich dir’s
bringen«, sagte sie. »Karten kriege ich durch meinen Vater, der ist bei den
Turmfalken. Du, das wird fein, fein!«
    Sie klatschte in die Hände, und ich
bekam leise Bedenken.
    »Hör mal, wenn ich öffentliches
Ärgernis errege...«
    »Nein, nein. Du wirst bildschön!«
    »Wenn ich prämiiert werde, kriegst du
die Hälfte ab«, sagte ich.
    »Gut.«
    »Was ziehst du an?«
    »Wird nicht verraten. Es paßt zu dir.
Wir werden bestimmt ein schönes Paar.«
    »Ich hoffe es«, sagte ich und sah zur
Uhr. »Zwölf. Der Hunger zernagt meine Gedärme. Auf Wiedersehen, meine Dame.
Räume schön auf und tröste den Oberarzt, wenn er mich besucht.«
    Ich ging, und sie warf einen Batzen
Schnee hinter mir her.
     
    *
     
    Zu Mittag gab es Erbsensuppe, und ich
aß ziemlich lustlos. Sie roch zu stark nach Feldküche und Eintopfsonntag.
    Schon nach einem Teller machte ich mich
auf zur Kantine.
    Ruschke kam wenig später. Unser Durst
schien in gleichem Rhythmus aufzuleben. Ich winkte, und Ruschke setzte sich an
meinen Tisch, der etwas abseits stand.
    »Hören Sie zu, Meister«, sagte ich, als
er seinen ersten Zug getan hatte. »Ich muß Sie etwas fragen. Haben Sie einen
Doktor Bonnet gekannt?«
    Zu meinem Erstaunen antwortete er
sofort.
    »Hab’ ick, Vaehrtester. War ‘ne Leuchte
der Wissenschaft. Unheimlich beschlagen. So ‘n Dozent oda wat.«
    »So, so. Dann kann die Medizin nicht
zugrunde gehen. Was tat er hier?«
    »Er war ausjeliehen«, sagte Ruschke.
»Hat hier ‘n bißken mitjemimt und sich denn wieda vazogen.«
    Ich trank und überlegte. Kam durchaus
vor, daß jemand für einige Zeit an einer anderen Klinik zusah. Spion mit
Beglaubigungsschreiben.
    »Wo kam er denn her?«
    »Aus Freiburg«, sagte Ruschke, und ich
wurde ein paar Zentimeter größer.
    »Aus Freiburg?« wiederholte ich. »Aus
Freiburg im Breisgau?«
    »So is et. Wat Melchior is, der
mittelste von die Heilijen Drei Könije — der war zu di Zeit dort.«
    Es wurde immer komischer. Oh, seliger
Sherlock Holmes, zeig mir einen Weg aus der Wirrnis!
    »Hm. Sagen Sie — den Bonnet — hat den
hier irgend jemand gekannt?«
    Ruschke faltete seine Slezakstirne.
    »Da muß ick mal in meine
Jedächtnishalle kramen — aba ick wüßte nich. War ‘n unbeschriebenes Blatt,
soweit ick mir erinnere. Hamse wat Besonderet im Sinn mit dem Bonnet?«
    Die Länge eines halben Glases überlegte
ich, ob ich ihm von meiner Idee erzählen sollte. Warum nicht? Ruschke eher als
allen anderen. Aber nicht alles.
    »Das ist so«, sagte ich leise, »ich
habe mich gefragt, welcher Zusammenhang zwischen den Ermordeten bestehen
könnte. Irgendeinen muß es geben, wenn der Mörder keinen Dachschaden hat. Und
es sieht nicht aus, als ob er einen hätte.«
    »Jloob ick ooch nich«, sagte Ruschke
mit harter Stimme.
    »Das wahrscheinlichste ist«, fuhr ich
noch leiser fort, »daß sich jemand an ihnen rächte.« Ruschke hob langsam den
Kopf. Seine Lippen spitzten sich, aber er pfiff nicht.
    »Wenn das so ist«, sagte ich, »dann
kommt nur einer in Frage, bei dem irgend etwas schiefgegangen ist. Zum Beispiel
ein Angehöriger eines Patienten, den sie beide zu Tode operiert haben.«
    Ruschke guckte wie ein Primaner.
    »Ich hab’ gestern ein paar solche
Versager herausgesucht. Eins war ein Kind, das tot

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