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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Gedanken.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich bin
Doktor Thomsen vom Röntgen. Sicher haben Sie schon von mir gehört.«
    Langsam kam Verständnis in ihren Blick.
»Ach ja — Sie haben ja... mein Gott, wie furchtbar!«
    »Das ist es.«
    Sie dämpfte die Stimme. »Hat Doktor
Steimle noch gelebt? Hat er irgend etwas gesagt?«
    Warum will sie das wissen, dachte ich.
    »Nein. Er war schon tot.«
    Sie nickte mit offenem Mund. »So. Nein,
wie furchtbar! Sechzehn Jahre bin ich im Dienst. So etwas habe ich noch nie
erlebt.«
    »Passiert auch nicht alle Tage«, sagte
ich.
    Ich merkte, daß sie gern erzählte. Für
mich war das besser als umgekehrt. Wir redeten noch eine Weile hin und her und
stellten mehrmals fest, daß alles furchtbar wäre.
    Dann fragte ich: »Ruschke hat heute
frei?«
    »Ja, den ganzen Tag. Wollten Sie etwas
von ihm?«
    »Eigentlich ja«, murmelte ich. »Es ist —
ach, vielleicht können Sie mir auch helfen. Ich muß ein paar Operationsberichte
durchsehen. Kann ich die von Ihnen kriegen?«
    »Nur von mir«, sagte sie »Herr Ruschke
hat gar nichts damit zu tun.«
    »Oh, Verzeihung«, sagte ich,
gleichfalls betont. »Da bin ich ja gleich an der richtigen Stelle. Ich brauche
ein paar operierte Gallen, die vorher geröngt sind. Kann ich mir da was
raussuchen?«
    Sie nickte huldvoll. »Wenn Sie einen
Augenblick Zeit haben — ich will nur schnell fertigmachen.«
    »Bitte, bitte.«
    Ich lehnte mich gegen ein Fensterbrett
und wartete. Rudolfina bettete die Instrumente in den Kasten, als wären es
Diamanten. Einige lange Skalpelle waren dabei. Die von den drei Toten? Kaum.
Die würde Nogees noch haben.
    Das Mädchen mit den Grübchen kam
vorbei, fragte die Oberschwester irgend etwas und schielte dabei immer mal zu
mir her. Keine schlechte Person. Man hat meistens Chancen, wenn man neu ist.
Aber gegen Evelyn kam sie nicht an.
    Als Rudolfina fertig war, ging ich
hinter ihr her, auf den Gang hinaus bis zu einem Zimmer, das wie ein Büro
eingerichtet war und voller Karteikästen stand. Es roch nach Papier und Staub.
    »Hier sind die Durchschläge«, sagte
sie. »Aber nur die Operationsberichte. Die Krankengeschichten hat Fräulein
Mehring. Von welcher Zeit brauchen Sie’s denn?«
    »Ach, das ist gleich.« Ganz das
Gegenteil war es. »Kann vom letzten Jahr sein. Sagen wir August bis Oktober — das
genügt.«
    Unsäglich gleichmütig brachte ich das
heraus.
    »Soll wohl für eine Arbeit sein?«
    »Vielleicht. Ich weiß noch nicht, ob
was daraus wird. Kommt darauf an, ob die Fälle geeignet sind.«
    Sie zog einen der Kästen heraus.
    »Hier — die zweite Hälfte von
achtundfünfzig. Nichts mitnehmen. Sonst brauchen Sie eine Genehmigung vom Ober...«
Verwirrt brach sie ab.
    »Ist im Augenblick schwer zu kriegen«,
sagte ich. »Ich denke, daß ich schnell damit fertig werde. Wie lange ist abends
auf?«
    »Sie können so lange drin bleiben, wie
Sie wollen«, sagte sie. »Sie müssen nur den Schlüssel bei der Nachtwache
abgeben.«
    »Mach’ ich. Herzlichen Dank,
Oberschwester. Sie fördern die Forschung in hohem Maße.«
    Sie trippelte zur Tür.
    »Schwester Rudolfina«, fragte ich
hinter ihr her, »wer spielt eigentlich jetzt Chef?«
    »Doktor Lahringer«, sagte sie. »Er ist
der Älteste von den Assistenten.«
    »So? Danke schön. Wollte es nur wissen,
falls ich mal was brauche.«
    Sie senkte die Haube zum Gruß und
verschwand.
    Lahringer? Ich kannte ihn kaum.
Ziemlich farbloser Mann. Im Kasino saß er immer ernst und schweigsam da.
    Die Berichte im Kasten waren nach
Vierteljahren geordnet und die einzelnen Monate unterteilt. Ich griff mir den
ganzen August und ging damit zu dem kleinen Tisch am Fenster. Eine leise
Aufregung überkam mich. Würde ich etwas finden? Oder war es Quatsch, was ich
hier machte?
    Mal sehen!
    Ich zündete mir eine Zigarette an und
nahm den Papierkorb als Aschenbecher. Die Durchschläge waren an steife
Karteikarten geheftet und alphabetisch geordnet. Oben standen die Personalien
des Kranken, darunter die klinische Diagnose. Dann kam der Bericht. Zuletzt war
noch ein Raum für den Sektionsbefund. Wäre sicher ganz interessant,
nachzusehen, wie oft klinische Diagnose und Sektionsergebnis nicht
übereinstimmten. Aber darauf war ich jetzt nicht aus. Außerdem war die letzte
Spalte nicht in allen Fällen ausgefüllt. Sehr tröstlich für die Operateure.
Ihre Namen standen rechts oben in einem Kästchen Sehr praktisch.
    Ich sah zur Uhr. Eine Stunde hatte ich
noch Zeit. Dann ging es in der

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