Das vierte Skalpell
begegnet. Aber er erinnerte mich an niemanden, den ich kannte.
Narkose: Dr. Spork.
Auf diesem Blatt war auch der Raum für
den Sektionsbericht vollgeschrieben, und in der linken oberen Ecke stand ein
schwarzes, tintengemaltes Kreuz. Also tot. Und ein Kind dazu.
Beate Weber. Geboren am 14.11.1944 in
München.
Wohnung: München 61, Ostpreußenstraße
9.
Diagnose: Bronchiektasie.
Also chronisch erweiterte Bronchien, im
rechten Unterlappen. Unsere Abteilung hatte die Röntgenbilder gemacht und die
Diagnose bestätigt. Weit ausgesackte Bronchien und massive Entzündungen im
Lungengewebe. Ich kannte solche Fälle. Blieb am Ende nichts anderes übrig, als
den ganzen Lappen herauszunehmen, bevor der Patient an der ewigen Eiterung
zugrunde ging.
Die Chirurgen hatten es versucht, und
dabei war es passiert.
Unregelmäßiger Puls, Sauerstoffmangel,
Herzstillstand. Aus. Bitter. Aber bei einer so schweren Operation mußte man
damit rechnen.
Keiner konnte was dafür.
Diagnose, Operationsprotokoll und
Sektionsbericht stimmten überein. Nicht sicher zu sagen, warum das Herz
stehengeblieben war. Manche Herzen nehmen sich die Freiheit, stehenzubleiben,
ohne den Arzt zu fragen.
Hastig schrieb ich die Adresse auf
meinen Block.
Vielleicht war das was für Nogees.
Noch einmal standen die drei Ermordeten
beisammen.
Am 27. Oktober. Kropfoperation bei
einer Frau. War alles in Ordnung gegangen, wenigstens während Stickhahn
operiert hatte. Auch hier mußte ich an das Krankenblatt ran. Nur im Sessel zu
sitzen und nachzudenken, reichte nicht zum Detektiv-Spielen.
In den letzten Blättern tauchte
Wildbolz’ Name nicht mehr auf. Auch diesen Bonnet fand ich nicht wieder. Sie
hatten den Schauplatz ihrer Tätigkeit gemeinsam verlassen.
Ich reckte die Arme zur Decke und
gähnte. Kurz vor zehn war es Zeit zum Schlafen. Für heute hatte ich genug. Ich
schrieb noch die Adresse und die Nummer der letzten Patienten auf. Dann packte
ich die Karten zusammen und schob den Kasten an seinen Platz zurück.
Drei Fälle, bei denen sie zusammen am
Tisch gestanden hatten. Nicht sehr viel. Vorausgesetzt, daß die Eintragungen
vollständig waren und Wildbolz tatsächlich immer mit eingeschrieben war, wenn
er assistiert hatte. Das würde ich von der Mehring erfahren können. Ich
beschloß, morgen noch den November durchzusehen. Vielleicht hatte Wildbolz noch
weiter mitgemacht, trotz Vorlesungsbeginn. Solche Begeisterung gab es.
Ich löschte das Licht und gab den
Schlüssel ab, wie Rudolfina es mir eingebleut hatte. Dann zog ich mich um und
ging. Der Pförtner grüßte mich, und die Augen des fremden Mannes, der bei ihm
im Zimmer saß, verfolgten mich durch die Glasscheibe.
Die frische Luft tat mir gut, und meine
Kreuzschmerzen verschwanden beim Gehen. Ich fragte mich, ob das, was ich
gefunden hatte, etwas wert war.
Drei Namen, Karl Hanacker, Beate Weber,
Johanna Serpl. Wer von ihnen spielte eine Rolle in diesem Drama? Und wer, zum
Teufel, war dieser Bonnet, der vierte Mann?
Der Name glühte in meinem Gehirn wie
ein Bild, das noch haftet, wenn man die Augen längst geschlossen hat.
XVI
Der folgende Vormittag brachte eine
wirkliche Flaute. Den größten Teil der Zeit standen wir herum und erzählten.
Ruschke war wiedergekommen und unterhielt uns. Der freie Tag mußte ihm gutgetan
haben.
Ich wollte von meinem Plan in Evelyns
Gegenwart nichts verlauten lassen. Nachmittags würde genügend Zeit sein,
Ruschke einzuweihen.
Als es halb zwölf war, brach unser
Geschäft endgültig zusammen. Wir lehnten uns nebeneinander zum Fenster hinaus
und bliesen Nikotinwolken in die kalte, klare Luft.
»Bonjour tristesse«, sagte ich. »Elend
müder Betrieb heute. Mehr Polizisten im Haus als Patienten. Morgen bringe ich
Karten mit, dann spielen wir Sechsundsechzig.«
»Skat ist schöner«, sagte Evelyn.
»Stimmt. Aber dann bin ich nicht mit
dir allein.«
Ich kratzte eine Handvoll Schnee vom
Fenstersims und quetschte ihn zusammen. »Man sollte auf andere Gedanken kommen.
Wie war das denn mit dem Fasching? Wollen wir am Sonnabend?«
Sie konnte sehr vorwurfsvoll aussehen.
»Jetzt?«
»Ja.« Ich warf den Schneeball gegen den
Stamm eines Baumes, der vor unserem Fenster stand. »Wann sonst? Durch den
ganzen Wirbel bin ich noch kein einziges Mal hingekommen. Vierzehn Tage hier,
und nichts als Morde und versäumte Faschingsfeste. In acht Tagen ist
Aschermittwoch. Dann bleiben uns nur noch Kreuz und Asche.«
»Findest du es denn richtig,
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