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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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auf dem Tisch blieb. Und da
war dieser Bonnet dabei.«
    Zum erstenmal fiel mir auf, wie
nachdenklich Ruschke sein konnte. Er saß unbeweglich, und sein Bier langweilte
sich im Glas.
    »Ja«, sagte ich, »deswegen wollte ich
hören, ob Sie etwas über ihn wissen.«
    »Nich schlecht«, sagte Ruschke langsam.
»Wenn Se et hier satt ham, lassen Se sich bei den Kundschafta anstellen.«
    »Zumindest werde ich ihn auf diese
Fährte scheuchen.«
    »Warum machen Se det eigentlich?«
fragte er.
    Ich schenkte den Rest Bier ins Glas.
    »Weil er mich frei herumlaufen läßt. In
beiden Fällen war ich nahe genug, um einen Mörder abzugeben. Ich könnte es ihm
nicht übelnehmen, wenn er mich einbuchtete. Er tut es nicht. Dafür helfe ich
ihm ein bißchen nachdenken. Ein Hals wäscht den anderen.«
    Wir schwiegen eine Weile und tranken
aus.
    »Er muß sich die Familien der Leute
ansehen, denen hier auf der Chirurgie etwas passiert ist«, sagte ich dann.
»Vielleicht kommt dabei was raus!«
    »Könnte sin«, sagte Ruschke.
    Kurz danach verließen wir den Raum. Ich
fuhr mit Ruschke hoch zum Operationssaal.
    »Wat denn«, fragte er erstaunt, »nich
zu Evelynchen?«
    »Nich. Will noch ein bißchen herum
wühlen.«
     
    *
     
    Wir trennten uns auf dem Gang. Ich
öffnete die Tür zu meiner Schatzkammer und sah, daß ich diesmal nicht allein
war.
    Der melancholische Lahringer saß darin
und hob seine traurigen Augen zu mir.
    »Mahlzeit, Herr Kollege«, sagte ich.
    »Mahlzeit«, antwortete er gemessen.
    Ich sah ein Päckchen Karten vor ihm auf
dem Tisch liegen. Er saß genau dort, wo ich gestern gesessen hatte, und
schmierte Notizen auf einen Block. Ich ging zu meinem Fach und zog es heraus.
Den Juli und den November wollte ich noch nachsehen. Mit dem ersten Blick
entdeckte ich die Lücke im Kartenblock.
    Lahringer hatte den November 1958 beim
Wickel.
    Ich warf einen schnellen Blick zu ihm,
gerade als er dasselbe tat. Wir grinsten kurz und sahen wieder weg.
    Ich zog mir den Juli heraus, setzte
mich, und fing an zu blättern, die Karten auf den Knien. Minutenlang war nichts
zu vernehmen, nur das Knistern des Papiers unter unseren Händen. Ich wußte
schnell, was ich wissen wollte. Wildbolz stand nicht in den
Operationsprotokollen des Juli.
    Mit einem Auge schielte ich zu
Lahringer. Er war noch nicht fertig mit seinem Stoß. Also tat ich auch so.
Zwischendurch öffnete sich die Tür, und Ruschke sah herein. Er fixierte den emsigen
Lahringer und nickte mir zu. Ich zwinkerte. Wenig später war Lahringer fertig.
Er erhob sich und verstaute die Karten im Kasten. Dann drehte er sich zu mir
herum. »Sie haben den Juli, Herr Kollege?«
    Ich sah zerstreut auf, als hätte ich
gar nicht auf ihn geachtet. »Ja — brauchen Sie ihn?«
    Er winkte großmütig mit der Hand.
    »Nicht so eilig. Machen Sie nur
fertig.«
    »Ich bin schon durch«, sagte ich.
»Bitte, bitte — nehmen Sie nur!«
    Die nächste Minute war angefüllt mit
meinen Beteuerungen, daß ich schon fertig sei, und mit seinen, daß er es nicht
eilig hätte.
    Schließlich sagte ich: »Im Augenblick
haben Sie bestimmt weniger Zeit als ich.«
    Er lächelte etwas hilflos.
    »Schon ein neuer Chef in Aussicht?«
    Seine Antwort kam zögernd.
    »Ja. Kennen Sie ihn?«
    »Nein. Ich hörte nur, daß er mal hier
gewesen ist.«
    Ich trat zum Regal und fingerte im
Kasten herum, um dadurch mein mangelndes Interesse an Bonnet zu bekunden. Aber
ich spürte Lahringers Augen in meinem Genick. Er sagte nichts weiter und setzte
sich wieder an den Tisch.
    Während ich den November durchsah,
dachte ich krampfhaft nach. Warum suchte auch Lahringer in diesen Monaten
herum?
    Was bedeutet es, daß dieser Bonnet
wiederkam?
    Was war mit Freiburg? Lag da der Anfang
der blutigen Spur?
    Auch im November fand ich Wildbolz
nicht. Ich stand auf und schob die Karten an ihren Platz.
    Lahringer war noch beschäftigt. Drei
Flaschen Rum hätte ich gegeben, wenn ich hätte erfahren können, wonach er
suchte. Ich wollte es probieren.
    »Sie haben dieselben Monate
durchgesehen wie ich«, sagte ich lächelnd. »Nun fehlt nur noch, daß Sie auch
auf der Jagd nach Gallen sind.«
    »Das bin ich«, sagte er bedächtig.
    Er lügt, dachte ich sofort. Er lügt,
genauso wie du gelogen hast. Er ist auf dieselbe dämliche Ausrede verfallen,
das ist alles.
    »Ach, das ist merkwürdig. Wollen Sie
was unter sich fallen lassen?«
    Die frivole Ausdrucksweise schien ihm
nicht zu gefallen.
    »Nein, nein — ich will mir nur mal die
Fälle

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