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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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sie festnehmen?«
    Dana hält sich eine Feldflasche mit Wasser ans Ohr und schüttelt sie, um sicherzugehen, dass sie auch ganz voll ist und kein Geräusch macht. »Jetzt hast du ein Problem«, sagt sie, als es still bleibt. »So viel ist sicher.«
    Die Tür zum Container der beliebteren Mädchen steht offen, und sie können problemlos zu unserer offenen Tür reinschauen. Hagar, ihre Anführerin, die Blonde, schaut direkt zu uns rüber. Ihre europäischen Gesichtszüge erinnern mich an Lea. Und sie ist auch genauso mies wie sie.
    »Oaaah«, sagt sie. »Was hat das neue Mädchen angestellt?«, fragt sie grinsend.
    Die anderen beiden Mädchen prusten los und ich wünschte, der Witz ginge nicht auf meine Kosten, denn dann könnte ich mitlachen. Die Mädchen in meinem Container lachen nie.

    Mein Problem hat einen Namen. Es heißt Boris. Und ist großartig, einfach großartig. Das heißt, er ist nicht in allem großartig. Seine Einheit hat ihn hier auf dem Übungsstützpunkt zurückgelassen, weil er nicht schießen, also wirklich nicht schießen kann. Als ich meinem Vorgesetzten erzählte, mein Helm sei den Hügel runtergerollt, und ich hätte ihn nicht wiederfinden können, fragte er, warum ich den Helm nicht aufgehabt hätte. Also sagte ich, er sei mir vom Kopf gefallen. Daraufhin fragte er, warum ich ihn nicht ordnungsgemäß festgemacht hätte. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass er nicht ordnungsgemäß festgemacht war, weil es nichts gäbe, wovor wir hätten Angst haben müssen, weil die einzigen Angreifer Kinder seien, die Lutscherpapier klauten, um es abzulecken, aber stattdessen habe ich zu Boden geschaut und auf meine Strafe gewartet.
    Meine Strafe besteht darin, aus Boris einen besseren Schützen zu machen. Boris’ kurze Haare sind so blond, dass sie fast schon weiß sind. Boris ist genauso groß wie ich, ein kleiner Typ, aber er ist kräftig und hart und echt. Die blauen Augen verstecken sich hinter langen Wimpern. Er kann mich nicht anschauen. »Das ist so demütigend, Kommandantin«, sagt er, als wir über den Sand zum Schießplatz laufen. Auf dem Rücken trägt er ein riesiges Militärfunkgerät, in der rechten Hand einen Metallbehälter mit Munition und in der linken zehn Liter Wasser. Ich habe mein Gewehr auf dem Rücken und eine Jacke. Außerdem trage ich die Kiste mit Schießscheiben und Holzstöcken. Holzsplitter pieken in meine Handflächen, als würde ich gekitzelt. Die Kälte zwickt mich in die Nase, und ich fühle mich leicht an Boris’ Seite. Leichter. Beschwingt.
    »Du kannst Yael zu mir sagen«, sage ich. »Wir sind doch gleich alt.«
    »Ich bin achtzehn«, sagt er.
    Ich neunzehn und zwei Monate. Ich wurde spät eingezogen. Plötzlich denke ich, dass es in ein paar Jahren nie wieder akzeptiert werden wird, dass ich vom Körper eines achtzehnjährigen Jungen auch nur träume. Also überhaupt von einem Jungen. Ich darf dann nur noch von Männern träumen. Es gibt neunzehnjährige Jungs. Auch noch Zwanzigjährige. Ich glaube, es war nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag, als ich gemerkt habe, dass Moshe kein Junge mehr war.
    Wir kommen beim Schießstand an, den ich für unsere Übungseinsätze reserviert habe. Der Stand besteht aus einem kurzen Dach und einem Betonboden. Boris legt alles hin. Er lässt die Schultern kreisen, und für einen kurzen Moment ist es, als würde ihn die Freude darüber, dass er die Last loswerden konnte, zu einem Kind machen, auch wenn er sich schämt. Per Funk gebe ich durch, dass an Schießstand 11 geschossen wird. Als ich mich wieder zu Boris drehe, liegt er mit dem Gewehr in den Händen auf dem Betonboden. Seine Körperhaltung ist völlig falsch. Dabei ist sein Körper genau richtig, aber um mit einem Gewehr zu schießen, hat er genau die falsche Haltung. Der Gewehrkolben liegt nicht mal in der Kuhle zwischen Schulter und Brust an. Er liegt, schwebt irgendwo weiter oben rum.
    »Boris«, sage ich. »Sehe ich für dich aus wie ein Ozean?«
    Er lässt die Waffe sinken und setzt sich auf den Beton. »Nein«, sagt er.
    »Warum lässt du dich dann wegspülen? Es gibt keinen Grund, auf dem Beton anzufangen. So schlecht bist du garantiert nicht.«
    Boris lacht. Er lacht sehr lange, dabei sieht man seine Zähne, und seine Nase bebt. »Und ob ich so schlecht bin«, sagt er.
    Wir gehen trotzdem ein paar Schritte, weg vom Beton auf den steinigen Sand des Schießstands. »Ich übe nicht gern auf Beton«, sage ich. »Das ist nicht realistisch. Kriege werden nicht auf

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