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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Beton ausgetragen.«
    Ich sage Boris, er soll mir erst mal zeigen, was er schon kann. In fünfzig Metern Entfernung ramme ich einen Stock in den Boden und hänge eine unbenutzte Zielscheibe mit der Silhouette eines grün uniformierten Soldaten auf. Dann zeige ich ihm eine Kleinigkeit. Ich stehe ihm gegenüber, nehme seine Hand in meine und lege sie bei ihm in die Kuhle zwischen Schulter und Brust.
    »Drück ungefähr hier«, sage ich, »und tu so, als würdest du Schwimmzüge machen.«
    Er widerspricht mir nicht. Er macht, was ich ihm sage. Meine Finger sind leicht feucht von seinem Schweiß. Ich lasse meine Hand auf seiner, in dieser Berührung. »Und wenn du eine Kuhle oder ein Loch spürst, dann lass die Hand da liegen«, sage ich.
    Unsere Hände bewegen sich zusammen. »Ich hab’s! Ja, wirklich!«
    »Genau da solltest du beim Schießen den Kolben anlegen. An dieser Stelle kann dein Körper den Rückstoß am besten abfangen.«
    Eine Minute lang kicken wir mit den Füßen die Patronenhülsen weg, die überall auf dem Boden liegen.
    Er legt sich hin. Aufgeregt. »Ich gebe mein Bestes, Kommandantin«, sagt er wie ausgewechselt. So schnell, so konkret können Jungs umschalten.
    »Wie wär’s für den Anfang mit fünf Schüssen ins Herz?«, sage ich, und stopfe mir die Ohrstöpsel rein.
    Bumm, bumm, bumm. Bumm. Bumm.
    Ich sage ihm, er soll bleiben, wo er ist, und mache mich zur Schießscheibe auf. Ich renne schnell, ich weiß, dass er mich beobachtet, wartet, wartet, aber auch beobachtet, wie ich renne.
    Das Herz hat nichts abbekommen. Ich überprüfe den ganzen Rumpfbereich, aber da ist auch kein Einschuss zu sehen. Am Kopf ist nichts. An den Beinen auch nichts.
    Ich renne zurück und bemühe mich, nicht zu erstaunt auszusehen.
    »Dein Gewehr ist einfach gar nicht justiert«, sage ich.
    Boris sitzt im Sand, die große Hand stützt das Kinn. »Oh, es ist justiert«, sagt er, souverän, herrlich souverän, aber geknickt.
    Ich beuge mich rüber und nehme ihm das Gewehr ab, lege mich aber nicht hin. Im Stehen lege ich das Gewehr an meiner Schulter an. Ich befehle Boris, zurückzutreten und die Ohrstöpsel reinzustopfen.
    Bummbummbummbummbumm.
    Ich renne zur Schießscheibe. Obwohl es im Stehen schwer ist, mit einer M16 sauber zu zielen, hat jeder Schuss genau ins Herz getroffen. Die Einschüsse sind weniger als zehn Zentimeter auseinander. Ich würde Boris zu gern rüberrufen, damit er sieht, wie ich das gemacht habe, und um ihn zu beeindrucken, überlege es mir dann aber doch anders. Das kann er jetzt nicht brauchen.
    Ich renne zu ihm zurück, und er sieht mich an, weiß es schon, hofft aber irgendwie noch.
    »Genau genommen bist du viel schlauer als ich«, sage ich. »Ich habe es mir anders überlegt. Jeder gute Ausbilder weiß, dass man mit den Grundlagen anfangen muss, um Perfektion zu erzielen.«
    »Beton?«, fragt er.
    »Beton, und ohne Patronen. Wir werden es mit der Trockensex-Variante probieren.«
    So sagt man umgangssprachlich dazu, wenn man übt, ohne Munition zu schießen, aber ich habe das auch gesagt, um ihn in Verlegenheit zu bringen, aber er ist nicht verlegen. Er sieht mich nicht an. Sein Blick ist auf das Ziel gerichtet, er sieht nichts anderes. Ich entlade das Gewehr, bemerke, dass er den Schwimmzug übt, seine Augen geradeaus gerichtet, erneut auf der Suche nach der Kuhle, die er gedanklich abspeichert. In diesem Augenblick sieht er weder mich noch den Sand noch die Hügel, und seine konzentrierten Augen sind fantastisch, unwirklich, nicht für mich gedacht.

    Nachts, zurück im Container, bevor eine weitere Acht-Stunden-Schicht anfängt, rufe ich wieder Moshe an. Gleich nach dem Aufwachen rufe ich ihn an, undercover, unter der Militärdecke.
    »Wir sind jetzt wieder zusammen«, sage ich.
    »Liegt es an mir?«, fragt er.
    »Nein«, sage ich. »Wir sind wieder zusammen. Hörst du nicht zu?«
    »Gut«, sagt er. »Ich habe nämlich schon angefangen, nach einer Wohnung für uns zu suchen. Der Markt heutzutage. Das dauert Jahre.«
    Damals, da war er vierzehn und ich zwölf. Damals, da hatte ich Angst. Er nicht. Jetzt haben wir beide Angst.

    Von der nächsten Acht-Stunden-Schicht denke ich zwei Stunden lang über Moshe nach, darüber, dass er jetzt ein Mann ist, und dass genau das die Natur ist, oder die Zeit, die Natur und die Zeit, und bald kreisen meine Gedanken.
    Die Natur und er, und er und die Natur, und sowieso. In der dritten Stunde glaube ich, Jungs rennen zu sehen, rot leuchtend, oben auf dem

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