Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Hügel. Kleine Gestalten, die große Vierecke halten. Ich kneife die Augen zusammen, und sie sind weg.
Zurück im Container schmeiße ich die Munitionsweste krachend auf den Boden, Dana wird wach.
»Hast du’s schon gehört?«, fragt sie
»Was denn?«, frage ich.
»Hagar hat überall herumerzählt, dass die Jungs aus dem Dorf die ›Militärisches-Sperrgebiet‹-Schilder vom Zaun abgerissen haben.«
»Was wollen die denn damit?«
»Sie verkaufen das Metall, hat der Offizier gesagt. Man kann es zum Einschmelzen verkaufen. Aber weißt du was – die haben nur die roten mitgenommen. Ist das nicht schräg?«
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Diese kleinen, robbenden Jungs haben überhaupt keine Skrupel. Sie haben keine Angst. Und jetzt bauen sie nach und nach unseren Stützpunkt ab.
»Das ist nicht witzig!«, sagt Dana, ihr Flüstern lauter als ein Schrei.
»Irgendwie ist es schon witzig«, sage ich. »Wahrscheinlich haben die Jungs nur die roten geklaut, weil sie witzig sein wollten.«
Dana kapiert nicht, was ich meine. Ihr Freund ist siebenundzwanzig. Sie haben sich kennengelernt, als sie in der zwölften Klasse war. Sie hat ihn nie gekannt, wie ich Moshe kenne; sie hat ihn nie als Jungen gekannt. Sie reibt sich Vanilleöl hinters Ohr, auf die Handgelenke und den Hals. Weil ihr Freund auf Vanille steht. Das hat er ihr irgendwann gesagt. Zweimal täglich reibt sie sich das auf die Haut, obwohl er so weit weg ist und es gar nicht riechen kann.
»Warum sollten sie witzig sein wollen?«, fragt sie, aber ich erkläre es ihr gar nicht erst. Ohne Stiefel, aber mit Uniform lege ich mich aufs Feldbett, so kann ich länger schlafen, bevor ich aufstehen muss, um Boris zu trainieren. Wie soll ich ihr erklären, dass Jungs nicht witzig sein wollen, sondern es einfach sind?
Ich erkläre es ihr nicht. Stattdessen wache ich auf, als sie noch schläft, und stecke mir die kleine Flasche Vanilleöl zur sicheren Aufbewahrung in die Hosentasche.
Boris hofft, dass wir diesmal mit echten Patronen trainieren, aber als wir alles vorbereitet haben, nehme ich ihm wortlos das Gewehr ab und entlade es. Er legt sich auf den Beton, und ich kauere über ihm und berichtige seine Körperhaltung.
Ich achte darauf, dass seine linke Hand im rechten Winkel ist und die Waffe unangestrengt in seiner Hand liegt.
»Was du jetzt brauchst, sind deine Knochen«, sage ich. »Wenn du das mit Muskelkraft machen willst, fängst du an zu zittern.«
Als ich seine Hand korrigiere, fühle ich seinen Puls und rieche Industrieseife.
»Brich dir nicht das Handgelenk!«, rufe ich, und biege seine rechte Hand gerade, die den Griff umfasst. »Darüber haben wir doch gestern gesprochen.«
Ich trete ihm solange heftig gegen die Beine, bis sein linkes Bein die exakte Verlängerung des Gewehrlaufs ist und er das rechte Bein in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel abspreizt. Bei jedem Tritt spannt er den Po an.
Als ich mich runterbeuge und ihm zeige, wie er die Wange an den Kolben schmiegt, ihn dann hoch und runter bewegen muss, bis er das Ziel genau im Visier hat, fühle ich, wie weich seine glatte Haut ist.
Ich lege eine Münze oben auf die Kante des Gewehrlaufs und mich direkt vor ihn, den Kopf in die Hände gestützt.
Ich befehle ihm, mich anzuschauen. »Ziel auf mein Auge«, sage ich.
Langsam legt er den Sicherungshebel um, dann drückt er den Abzug.
Die Münze fällt leise klirrend auf den Boden.
»Noch mal«, sage ich. »Das machen wir, bis du sicher bist.«
Wieder lege ich die Münze oben auf den Gewehrlauf und lege mich wieder hin. Er kneift das linke Auge zu. Er sieht mich über die Waffe hinweg an, sein Auge rund und bestimmt und blau. Er drückt den Abzug.
Die Münze fällt runter.
»Noch mal«, sage ich.
»Noch mal«, sage ich.
»Noch mal.«
Und wenn ich das den ganzen Tag machen muss. Und wenn das so geht, bis meine Schicht anfängt. Notfalls auch noch länger. Zum Teufel mit der Schicht, zum Teufel mit allem, noch mal, noch mal, noch mal, und auf einmal –
Er drückt den Abzug und die Münze bleibt liegen. Sein Lid ist der einzige Körperteil, der sich bewegt. Wir starren uns an, ganz still.
»Noch mal«, sagt er, fast ohne die rissigen Lippen zu bewegen.
Die Münze fällt, bleibt liegen, fällt, bleibt liegen, bleibt liegen, bleibt liegen.
Die ganze Zeit über schaue ich ihm in die Augen, aber als ich meinen Blick wandern lasse, sehe ich, dass sein linker Ellenbogen feucht ist, er in sein Hemd blutet, so lange hält er das
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