Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
herumdudeln, mit dem 4-Spur-Rekorder aufnehmen … und die Hälfte der Zeit war ich nicht einmal alleine, denn mein Freund Torsten war bei mir. Wir hatten uns kennengelernt, als ich meinen Schlagzeuglehrer Herrn Fries in der großen Pause nach einem Drummer für die Schulband fragte, da ich keine Lust mehr hatte, hinter dem Schlagzeug zu singen. Erstens wollte ich nämlich ab sofort Gitarrist sein, und zweitens war ich sehr genervt von dem Umstand, dass ich keinen richtigen Mikrofonständer mit Galgenausleger hatte. Ich musste immer mit einem zusammengeklappten Notenständer zwischen den Beinen trommeln, in dem das Mikro mit Tesafilm festgeklebt war. Um dieses blöde Ding musste ich immer herumspielen, und ich war es einfach leid.
Herr Fries deutete in Richtung des Kaffeeautomaten, und dort stand er. Torsten. In der Tat war er im Wahlunterricht Schlagzeug. Und natürlich wollte er sehr gerne dabei sein. Tatsächlich war er auch ganz schön überrascht und geschmeichelt von der Empfehlung durch den Schlagzeuglehrer. Schließlich hatte er bisher gerade mal eine einzige Stunde absolviert. Und schon hatte man sein Talent erkannt? Wenn das mal nicht ein Ansporn war, sich richtig reinzuhängen!
Als Herr Fries ein paar Tage später zu unserer ersten Bandprobe erschien, war er allerdings etwas erstaunt. Er zeigte auf Torsten und fragte mich: »Wollte der Ali nicht?« Es stellte sich heraus, dass er den Typen neben Torsten gemeint hatte. Einen türkischen Jungen namens Ali mit wahrlich irrsinnigem Talent fürs Trommeln. Wir hatten stattdessen Torsten in die Band geholt. Aber das passte ganz gut, denn unser Bassist war vor wenigen Tagen erst von Akkordeon auf Bass umgestiegen und ich selbst von Drums auf Gitarre. Da war Torsten vermutlich noch der Beste von uns, denn er hatte die letzten Tage über wie verrückt geübt und konnte nun einen Beat mehr spielen als ich Akkorde greifen: vier.
Meiner Mutter war natürlich nicht entgangen, dass wir immer alleine oder zu zweit in dem Keller herumhingen, langsam bleich und bleicher wurden und uns immer mehr in lichtscheue Grottenolme verwandelten.
Darum fasste sie schließlich einen Entschluss, und Folgendes zeigt auch ganz gut, wie sehr sich meine Mutter nach der Scheidung verändert hatte. Sie hat heute für alles und für jeden immer den passenden Vorschlag, wie er sein Leben entscheidend verbessern könnte. Und dieser Vorschlag wird einem dann so lange paraphrasiert und wiederholt eingehämmert, bis man irgendwann denkt, man wäre selbst draufgekommen. Meine Mutter ist also eine Art personifizierter Vorschlaghammer, und das erklärt auch die Kopfschmerzen.
In unserem Fall blieb es allerdings nicht beim Vorschlaghämmern, denn meine Mutter ahnte schon, dass wir durch bloßes Gut-Zureden nicht in Bewegung geraten würden. Mir zu sagen, dass ich frische Luft brauchte, ergab in etwa so viel Resonanz, als würde man in Götterspeise schreien.
Bevor wir’s uns also versahen, waren wir eingepackt und verschifft worden an den Riegsee bei Murnau. Dort spuckte Mamis Auto ein Zelt aus, wir wurden darin installiert und dort zurückgelassen mit Kartuschen, Konserven und prall gefülltem Kulturbeutelchen. Außerdem lagen zwei Fahrräder vor uns, damit wir mal »ein bisschen die Gegend erkunden« könnten.
Erstaunt blickten wir dem davonrauschenden Wagen hinterher und sahen uns verwundert an. Hier sollten wir jetzt zwei Wochen lang dumm herumsitzen?
Aber nein, weit gefehlt – hier ging es nicht nur um Sommerfrische. In weiser Voraussicht hatten uns die Eltern nämlich auch unsere Physik-Unterlagen mit eingepackt. Schließlich stand bald die Abschlussprüfung bevor!
Okay, bei mir persönlich war eh längst Hopfen und Malz verloren, und meine Mutter wollte das vielleicht nur nicht wahrhaben.
Ich war aber nun mal einer der schlechtesten Schüler an der Werner-v.-Siemens-Realschule und auch nur deswegen nicht auf der Hauptschule, weil die Lehrer verzweifelt versuchten, mich mit mündlichen Noten irgendwie durchzulavieren. Ich war nämlich ansonsten sehr aktiv: Schülersprecher, Schulband, Schulchor, Theater/Film-AG, Schülerzeitung … ich machte alles und das mit zerfetzender Hingabe. Nur im Unterricht war ich entweder physisch oder mindestens psychisch nicht anwesend. Aber da man wohl absehen konnte, dass aus mir irgendwie irgendwas werden würde, hatte man sich entschlossen, mir das irgendwie zu ermöglichen. Ich weiß das auch nur deswegen, weil ich ein paar der Lehrer/-innen zu
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