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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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klingen mir seltsamerweise noch im Ohr. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein.
    Nun mag man annehmen, dass mein Vater mich nach diesem Erlebnis erst einmal wieder vorsichtig nach unten geleitete, um mich dort am nächsten Kiosk mit einem kühlenden Eis und vielleicht gar einem Lustigen Taschenbuch zu besänftigen. Nun, das war weit gefehlt, denn mein Papi hatte eine andere Strategie im Kopf, um mir zu helfen, mein Vertigo zu überwinden. Zusammen erklommen wir in Rekordzeit auch die letzten Stufen bis ganz nach oben, wo er mich dann an einer der festgezurrten Glocken plazierte.
    Dort sollte ich mich lässig an die Glocke lehnen, während er ein Foto von mir machen wollte, wo auch die Aussicht über Pisa gut zu erkennen wäre. Nur leider traute sich sein schwindelgeplagter Sohn nicht aus der Ecke neben der Glocke. Nur durch Zureden mit Engelszungen gelang es meinem Vater schließlich, mich dazu zu bewegen, wenigstens eine Hand auszustrecken, um die Glocke zu berühren. Vorsichtig gesagt: Das Foto geriet nicht zu dem gloriosen Motiv, das mein Vater im Kopf gehabt hatte.

    Dafür hatte ich noch jahrelang ein massives Problem mit Höhen. Jedes Mal, wenn ich irgendwo runterblickte, egal ob mit Gitter, Geländer oder ohne, ergriff mich das gleiche Schwindelgefühl, ich sah mich wieder an der Säule am Schiefen Turm kleben und den Halt verlieren.
    Dies ließ interessanterweise erst nach, als ich im Alter von etwa vierzehn eine Mutprobe zu bestehen hatte. Bei uns im Hochhausviertel München-Neuperlach gab es nämlich eine Tiefgarage, bei der Ein- und Ausfahrt nebeneinanderlagen, aber durch eine Betonmauer voneinander getrennt waren. Die Einfahrt verlief tiefgaragentypisch mehrere Meter nach unten, bevor sie in den großen Toren verschwand. Die Mutprobe bestand nun darin, möglichst schnell die gesamte Mauer entlang- zubalancieren und dabei den Rekord von fünfundvierzig Sekunden zu halten oder zu unterbieten. Als Preis gab’s nix. Nun waren auf dieser Mauer aber vier halbmeterdicke quadratische Betonsäulen aufgesetzt, die wiederum die gesamte Breite der Mauer einnahmen, so dass man äußerst unkommod um sie herumklettern musste. Kaum umklammerte ich die erste Säule in der lächerlichen Höhe von vielleicht einsfuffzich, verschwomm die Garageneinfahrt auch schon wieder zur weit, weit unter mir liegenden Piazza di Miracoli. Irgendwer rief mir irgendwas zu, und es sollte wohl witzig sein. Doch das war meine Rettung, denn ich klammerte mich an die Erkenntnis, dass dieser Depp bei meinem Erlebnis auf dem Schiefen Turm von Pisa nicht dabei gewesen war. Folglich war auch ich nicht dort, und folglich würde ich auch nicht auf die Piazza stürzen. Das mag jetzt selten dämlich klingen, aber für mich machte es irgendwie Sinn. Genau genommen macht es für mich auch heute noch Sinn, denn es vergeht seitdem kein Halbjahr, in dem ich nicht irgendwo nach unten starre und wenigstens für den Bruchteil einer Sekunde denke: »Das da unten ist nicht die Miracoli Plaza.« Und dann geht es mir besser.

    Lustig fast.

Camping ohne Eltern
    W arum hatte ich mich darauf bitte eingelassen? Ich und Torsten in einem Zelt? Am Riegsee? Campen?

    Ich war vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, und meine Eltern waren schon seit vier Jahren getrennt. Ich war bei meinem Vater geblieben, und Mami hatte den kleinen Nico mitgenommen. Wobei »mitgenommen« jetzt drastisch klingt. Eigentlich war es eine salomonische Lösung, auch wenn man das jetzt so direkt nicht glauben mag. Trennungen sind nie toll, aber es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Zunächst wohnten die beiden Parteien auch nicht allzu weit auseinander. Mit der U-Bahn war es eine Station, und ich konnte nach der Schule zum Mittagessen bequem bei meiner Mutter und meinem Bruder vorbeischauen.
    Meistens hatte ich allerdings anderes zu tun, denn inzwischen spielte ich in einer Band. Und so verbrachte ich eigentlich meine gesamte freie Zeit in dem Kellerraum unterhalb der Schulmensa. Dort stand das schuleigene Equipment unserer Band, gesichert durch zwei feuerfeste Türen, zu denen nur die Mitglieder der Band einen Schlüssel hatten. Für ein paar Tage stand dort auch das Mikro, das ich mir mit dem Austragen von Katalogen erspart hatte. Das spurlose Verschwinden von selbigem ließ darauf hindeuten, dass es wohl doch mehr Schlüssel gab.
    Irgendwie gab es dort unten auch alleine immer irgendwas zu tun. Gitarre üben, Schlagzeug üben, mit dem Keyboard und der Begleitautomatik

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