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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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mit einer routinierten Ruckbewegung einhändig auf, hasste mich dafür, setzte mich drauf und hasste mich auch dafür. Dann sah ich Torsten zu.
    Nach einer Viertelstunde Spastgymnastik in der prallen Murnauer Sonne fiel er erschöpft auf die Knie. Das Boot war noch genauso schlaff wie vorher und hatte somit etwas mit Torsten gemeinsam.
    Ich erbarmte mich mit hochmütigem Blick und öffnete die Sicherheitsventile des Schlauchboots, damit von nun an Luft in das Innere der Kammer strömen könne. Torsten sah mich ein bisschen zu lange an, und ich hielt stand. Es ist seinem unbändigen Willen und Durchhaltevermögen zuzuschreiben, dass er eine knappe Stunde später tatsächlich das gesamte Schlauchboot aufgepumpt hatte. Dafür war er nun so geschafft, dass er sich erst einmal ins Zelt legen musste. Mir war das recht, denn am Ende hätte er mich noch zum gemeinsamen Paddeln genötigt, und da wäre mir vermutlich nichts anderes übrig geblieben, als uns beide draußen auf dem See zu ersäufen.
    »Tommy, weißt du was …«, tönte es ein wenig matt, aber ungebrochen aus dem Zelt, und ich nahm bereits einen Stein mit schroffer Kante zur Hand, um ihn heimlich in meiner Hose verschwinden zu lassen. Damit würde ich die Kammern attackieren, sobald wir weit genug draußen waren. »… vielleicht mach ich jetzt erst mal ein bisschen Physik hier drin, mir geht’s nicht so gut«, sprach Torsten weiter, und ich ließ den Stein wieder ins Gras fallen. Sehr gut.

    Den ersten Abend verbrachten wir um den gottverdammten Kartuschenkocher gebeugt, auf die Plastiksoße der obligatorischen Ravioli starrend. Als sie endlich blubberte, war das das Zeichen, dass der Bampf heiß genug und der Topf angebrannt war. Guten Appetit. Danach knödelten wir noch ein bisschen auf der mitgebrachten Gitarre und den Bongos herum, bis irgendwer von schräg oben erstaunlich wütend brüllte, wir mögen sofort aufhören »mit dera Negermusik, weil i eich sonst die Buckel mi’m Wogscheidl obziag!«.
    Das »Wogscheidl« ist das Stück Holz, das man unter die Räder legt, damit der Wagen nicht wegfährt. In der Originalbedeutung also vielleicht kein allzu großer Holzprügel, aber er hatte vermutlich ein weniger handliches Stück Holz im Sinn und der Stimme nach zu urteilen auch griffbereit.
    Wir entgegneten ebenso lautstark, dass wir »Negermusik« jedem Nazimarsch vorzögen. »Und dann können sie auch gleich das »m« weglassen!«, hechteten dann aber berauscht von der eigenen Zivilcourage mit unserer Lampe ins Zelt, um ihm keine Richtung zu geben, in die er mit seinem Knüppel laufen könnte.
    Bewegungslos lauschten wir in die Nacht, aber keiner kam durchs Gras geraschelt, um unser Zelt mitsamt den Insassen zu Klump zu dreschen. In unseren jugendlichen Köpfen nahm das Ganze trotzdem eine erstaunliche Dynamik an, und schon sahen wir uns auf der Flucht mit dem Schlauchboot. Im Gegensatz zu meinem Vater hatten wir Ruder und kein Kochgeschirr.
    Als ich dann irgendwann in mein Zelt im Zelt stieg und Torsten erschreckend leichten Herzens draußen im Restzelt zurückließ, fiel mir der Vergleich mit meinem Vater noch einmal ein. Und etwas auf. Wie mein Vater befand ich mich nun im jugendlichen Alter mit meinem besten Freund in meinem ersten Campingurlaub ohne Eltern. Ist es tatsächlich so, dass man gewissen Dingen nicht entkommen kann, egal, wie sehr man sich wehrt? Würde ich in wenigen Wochen vielleicht auch auf das verhasste Rennrad steigen und dumm im Kreis fahren, bis ans Ende meiner Tage?
    Okay, beruhigte ich mich, ich war ja nicht freiwillig hier. Mami hatte mich eingepackt und hier abgesetzt. Die einzige Möglichkeit, mich zu widersetzen, wäre aktive Gewalt gewesen, und das war in unserer Familie nicht üblich. Gut, vielleicht wäre das diese eine berühmte Ausnahme von der Regel gewesen … Hm. Auf jeden Fall musste ich echt aufpassen, dass mir hier nicht noch so etwas wie »Spaß« unterkam, denn wie hätte ich das vor mir selbst rechtfertigen können? Ich definierte mich durch meine Ablehnung von Camping, Radfahren und meine Unfähigkeit für alles Mathematische. Mögung von Camping hätte nichts weniger als erheblichen Persönlichkeitsverlust zur Folge und musste unter allen Umständen vermieden werden.
    Darüber sinnierend fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
    Ich wurde geweckt von einem bekannten Geräusch. Ich hatte es heute schon einmal gehört, und zwar eine knappe Stunde lang. Es war das Fidschfidschfidsch des kleinen Blasebalgs. Ich

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