Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
meinem dreißigsten Geburtstag wiedertraf. Dort eröffnete man mir, dass ich kaum eine Note wirklich durch Arbeit am jeweiligen Stoff verdient hatte.
Da man leider in Physik keine Noten für das Organisieren des Schulchors bekam, war ich hier auf anderweitige Unterstützung angewiesen. Ich bastelte mir fünf Spickzettelchen an Gummis, die blitzschnell in den doppelten Ärmeln von zwei Sweatshirts verschwanden, sobald man sie losließ. Ich brauchte viele Stunden, bis die Dinger so installiert waren, dass sie nicht mehr lautstark schnalzten oder meinen Ellbogen in scheinbar spastische Zuckungen versetzten. Aber im Endeffekt war die Arbeit sehr gelungen, und ich verbrachte die gesamte Prüfung damit, meine genialen Spickzettel rauszuziehen und wieder zurückschnalzen zu lassen. Was hätte ich auch sonst tun sollen, denn das, was ich da an Wort- und Zahlengetümen aus dem Heft vom Klassenbesten Helmut abgeschrieben hatte, machte für mich ja überhaupt keinen Sinn. Zurück zum Thema.
Natürlich waren wir ohne Campingbus unterwegs. (Unterwegs trifft es im Übrigen ja gar nicht, wir blieben größtenteils stationär.) Wir hatten eine Art Familienzelt mit einer Schlafkabine. Schnell war klar, dass wir SICHER NICHT zusammen in dieser Kuschelkoje schlafen würden. Torsten war recht bemüht, nun den Naturburschen hervorzukehren, und bot mir großzügig die Kabine an. Er selbst sei wahrlich nicht so verweichlicht, dass er so etwas nötig habe, und würde es sogar vorziehen, die Nächte im Freien zu verbringen. Mir war das nur recht bis herzlich egal, wie Torsten seine Nacht verbrachte. Hauptsache, ich konnte mich abends per Reißverschluss von den Mücken trennen.
Überhaupt schien Torsten von der gesamten Unternehmung mehr und mehr begeistert zu sein. Die erste halbe Stunde freute er sich zum Beispiel an der Aussicht, die man von unserem Standplatz aus hatte.
Mami hatte uns auf einer der Terrassen über der Bootsanlegestelle installiert. Außer uns war hier wenig los, was wohl daran lag, dass auf diesen Plätzen das Gras nicht – oder noch nicht – gemäht worden war. Keiner der anderen Neuankömmlinge wollte sich auf so einen ungepflegten Platz stellen. Da könnte man ja gleich irgendwo in der wilden Natur campen, und dafür war man ja nun wahrlich nicht extra hierhergekommen.
Wir waren also recht einsam da auf unserem Stüfchen über dem See, und das war uns beiden eigentlich ganz recht. Mir, weil ich nicht wollte, dass uns jemand sah, und Torsten, weil er sich gerade einen Sinn für Romantik erredete, der mir irgendwie Angst machte. Wehe, der Kerl wollte hier so etwas wie »Spaß« haben, dann würde ich ihn anzünden und nicht auspissen! Ich war gegen meinen Willen hier, und ich würde die Zeit genauso verweigernd absitzen wie all die Jahre zuvor. Wenn mein bester Freund Torsten nun die Rolle des Begeisterungsnörglers einnehmen wollte, dann bitte. Aber an mir würde er sich die Zähne ausbeißen. Ich hatte ÜBUNG.
Perverserweise war ich nun von uns beiden auch noch der Campingexperte, und das muss man sich mal vorstellen! Auch wenn mir diese Art des Urlaubs höchst zuwider war, so verfügte ich doch über einen Erfahrungsschatz, der nicht von der Hand zu weisen war. Ich war bewandert in der Verwendung von Kartuschenkochern, Instandhaltung und Wartung aller anderen mitgeführten Utensilien, konnte auswendig hervorbeten, wofür die vier Millionen Teppichschichten waren, und sogar die scheinbar auf ewig verhakten Reißverschlüsse am Zelteingang mit einem geübten Handgriff wieder lauffähig machen. Ich konnte es, ohne nachzudenken, und ich hasste es, dass ich es konnte, und dachte darum nicht darüber nach.
Das Einzige, was wir leider nicht dabeihatten, war eine gute Luftpumpe für unser Schlauchboot. Vielleicht hatte meine Mutter noch zu viele böse Erinnerungen an die Dinger und hatte uns deswegen instinktiv anstatt der Kolbenpumpe nur eines dieser armseligen Fußfurzkissen mitgegeben.
Torsten war wild entschlossen, direkt jetzt und sofort mit dem Schlauchboot in See zu stechen, und machte sich darum voller Elan daran, den Schlauch an die Kammern des Bootes anzuschließen. Ich wollte ihm zur Hand gehen, aber Torsten wies mich zurecht, er wäre schließlich kein Idiot, und darum solle ich ihn auch nicht wie einen solchen behandeln. Er steckte den kleinen Trichter in die dafür vorgesehene Öffnung und begann nun wie verrückt auf die kleine Husthupe einzuhüpfen. Ich griff mir einen Klappstuhl, klappte ihn
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