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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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einer Band spielten und vorhatten, uns dadurch demnächst ganz bald bestimmt vor Anträgen kaum mehr retten zu können, standen wir doch in dieser mutmaßlichen Entwicklung noch sehr am Anfang. Abgesehen davon waren wir wohl eher so gar nicht das, was die Mädels damals sexy fanden. Wenn man mal so in Gedanken durchging, mit was für Typen die Mädchen rumhingen, mit denen wir eigentlich gerne rumgehangen wären, dann waren das meistens eher diese Fußball-Typen, die trotz aktivem Sportvereinsleben ebenso aktiv Kette rauchten und zwischen den Zügen neben sich auf den Boden spuckten. Außerdem verfügten sie über den Intellekt und Sprachwitz eines Zwerghamsters, was es schwierig machte, mit ihnen verbal zu interagieren.
    Das musste man aber manchmal, wenn man etwa vier Meter entfernt still an ihnen vorbeiging und einer hinterherbrüllte: »He, hast du ›Arschloch‹ g’sagt?«
    Falls Sie jetzt ganz automatisch eine Gruppe Basecap-tragender Typen mit Migrationshintergrund im Kopf haben, liegen Sie allerdings falsch und sollten sich mal frei machen von der allzu einfachen Verlockung sarrazinscher Instant-Pauschalierung. Es waren nicht die Murats, Dsengis oder Tarkans, die uns da hinterherbrüllten, sondern die Chrissis, die Michis und die Stevies.
    Natürlich fetzten wir uns auch mit Ersteren und die mit uns, aber das war zumindest damals für uns gar kein Unterschied. Das war die eine Clique und das die andere, und jede hatte ihre eigenen Gesetze im Umgang. Und es kam durchaus vor, dass die türkischstämmigen Murats, Dsengis und Tarkans den deutschstämmigen Tommy und seinen türkischstämmigen Klassenkameraden Turhan vermöbelten. Man machte da keinen kulturellen Unterschied, wie schön. Der Effekt war der gleiche, und der war manchmal ganz schön schmerzhaft.
    Innerhalb weniger Sekunden war man nämlich umringt, und dann halfen nur zwei Dinge. Entweder reden, bis sie die Lust verloren – spuck, »He, was bist du, Scheißpsychologe oder was?«, spuck  –, oder etwas Überraschendes und manchmal auch höchst Gewalttätiges tun, damit man die Chance hatte zu entkommen.
    Trotz dieser für uns »andere Jungs« wirklich eindeutig spürbaren charakterlichen Nachteile schienen aber die Mädchen auf diese Typen zu fliegen. Auf jeden Fall flogen die Mädchen nicht auf uns. Oder aber wir auf die falschen Mädchen, mag sein. Wir achteten damals vielleicht noch nicht immer sooo arg auf die inneren Werte wie heute natürlich immer dauernd, okay?! Was gibt es da zu lachen?
    Die Mädels fanden diese Proleten nun mal ganz ganz toll, und wenn man eine von ihnen fragte, was sie eigentlich alle am Chrissi fanden, dann war man überrascht: »Der ist soooo lieb! Voll süß! Du kennst ihn halt nicht.«
    Nein, wir kannten Chrissis voll liebe süße Seite nicht. Zumindest war in seiner Faust wenig süße Liebe zu spüren.
    Wir waren vorrangig dafür da, damit man mit uns »voll gut reden und so« konnte.
    »Hey, mit dir kann man voll gut reden und so.«
    »Vielendankgerneschlafmitmir.«
    »Hihihi, du bist voll witzig. Fast wie der Chrissi. Tschau.«
    »Tschau, schlaf mit mir, das war kein Witz! Hey! Ach verdammt …«

    Claudia war auf eine Weise hier keine Ausnahme und auf eine andere Weise eben doch. Sie war mit einem Typen zusammen, der etwa fünf Jahre älter war, somit bereits Auto fuhr und durchaus einen prolligen Eindruck machte – aber eben nicht auf die Bodenspuck-und-Streitsuch-Weise. Eher auf eine Bodenspuck-und-Kenwood-Aufkleber-in-der-Heckscheibe-Art, wenn Sie verstehen, was ich meine.
    Ich weiß leider seinen Namen nicht mehr, könnte ihn eh hier nicht beim Namen nennen und taufe ihn darum einfach Sven, weil es irgendwie passt. Sven trug immer Jogginghosen mit Aufdruck, ein enges T-Shirt über den etwas aufgeblasen wirkenden Muskeln, und seine Eltern hatten auf just diesem Campingplatz einen Dauerstellplatz. Dieser lag nur wenige Meter neben dem Dauercamperplatz von Claudias Eltern, und genau so hatten sich Claudia und Sven wohl auch kennen- und lieben gelernt. Seitdem brachten sie die Wochenenden und alle Urlaubstage damit zu, als das inoffizielle Campingprinzenpaar vom Riegsee den ganzen Tag in Svens Jeep den steilen Weg zwischen den Dauercampern rauf und wieder runter zu brettern. Dann wieder rauf und wieder runter. Dann stiegen sie mal oben aus, um in Svens Wohnwagen zu schnackseln, fuhren wieder runter und stiegen aus, um zu rauchen und auf den Boden zu spucken. Dabei plärrte langmähniger Proleten-Rock aus

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