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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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dem Jeep die Schotterstraße rauf- und runterschleifen würde.
    Unser Blickduell hatte noch keinen Sieger und Verlierer gekürt, aber wir hatten keine Wahl, als diese Entscheidung auf später zu verlegen. Denn in dem Moment hörte Claudia auf zu reden. Stille legte sich über den See, die Wellen plätscherten leise.
    Die beiden Mädels warteten auf irgendwas.
    »Und? Kommt ihr mit?«, fragte Claudia noch einmal, und wir nickten sofort. Egal was und wie, wir waren natürlich dabei! Da wir aber nicht wussten, wobei, standen wir erst einmal weiter dumm herum.
    Hm.
    Da meldete sich Gerdi zu Wort. Ihre Stimme klang gepresst, sie verschluckte gerne Silben, ohne sie vorher zu kauen, und schnaufte nach jedem Satz. Der Atem klang, als würde ein Wal nach dem Auftauchen Wasser blasen. Prschhhh  …
    »Wolltanich’die Inst’mente mitneh’m od’so?«
    Ja, na klar wollten wir, und schon gingen wir uns gegenseitig im Weg um, als wir zu zweit durch die Zeltöffnung drängelten wie Laurel & Hardy. Schneller als der Schall waren wir auch schon wieder aus dem Zelt herausgefedert und nickten. Wir waren bereit. Wo geht’s noch mal hin?
    Claudia lächelte, Gerdi nicht, und sie gingen los. In meiner Erinnerung spüre ich die Vibrationen ihrer Schritte durch meine Sandalen hindurch, aber vielleicht übertreibe ich hier doch ein wenig. Natürlich ist es gemein, so auf Gerdi und ihrem Gesamtvolumen herumzuhacken, aber ich bitte um Verständnis. In dem Moment war Gerdi nichts anderes als der Antichrist. Sicherlich hatte sie sich diese Rolle nicht ausgesucht, und es gab bestimmt einen triftigen Grund für ihren Umfang, psychisch oder gar physisch, wir haben sie nicht gefragt, und wo immer sie jetzt sein mag, sie ist im Grunde ihres Herzens wohl kein schlechter Mensch.
    Leider war von diesem weichen Kern nichts zu spüren, als sie neben Claudia her walzte und es irgendwie schaffte, immer genau dort zu sein, wo gerade einer von uns neben Claudia laufen wollte. Wie machte sie das nur?!
    Wir hatten überhaupt keine Ahnung, wo uns die beiden Grazien hin entführten, aber ehrlich gesagt war es uns auch egal. Etwas verwundert waren wir allerdings, als Claudia plötzlich die Hand hob und uns wortlos zum Stehen brachte, als wäre sie der Führer unseres Platoons und hätte dort vorne eine Gruppe Vietkong entdeckt. Mit einer weiteren Handbewegung bedeutete sie uns, dass wir Abstand halten sollten. Sie und Claudia gingen weiter, wir blieben erst einmal stehen und folgten dann in gebührender Entfernung.
    Der Grund für ihre Vorsichtsmaßnahme war eine Gruppe erwachsener Dauercamper, die gerade vom Restaurant in Richtung ihrer Jägerzaunburgen spazierten. Claudia grüßte höflich, man grüßte lautstark zurück, und der günstige Wind wehte den ein oder anderen blöden Spruch zu uns herüber, wie man ihn auch in Büchlein mit sogenannten Herrenwitzen findet. Das war wohl einer der wenigen Nachteile, mit denen man als hübsches junges Mädchen leben musste.
    Mir fiel auf, dass keiner Witze über Gerdi machte. Zumindest nicht so, dass sie es hören oder sehen konnte. Sobald die Gruppe aber an Claudia und Gerdi vorbeigezogen war, ging das Gekicher los, Backen wurden aufgeblasen, die Arme weit weg vom Körper gehalten und ein Wiegeschritt angedeutet. Sehr witzig und wie einfallsreich. Okay, jetzt tat uns Gerdi leid. Ganz kurz vielleicht nur, aber immerhin. Wir waren ja auch nicht aus Stein, verdammt!
    Schnell schlossen wir zu den beiden auf, und ich hoffte natürlich zu punkten mit: »Was waren denn das für Deppen?«
    »Mein Papi und seine Freunde«, antwortete Claudia spitz, und Gerdi schüttelte nur mitleidig den Kopf. Schon hasste ich sie wieder. Aber Moment mal, täuschte ich mich, oder hatte Torsten gerade ganz leise »Yes!« gemacht und dabei die Faust senkrecht nach unten gerissen, als würde er eine Reißleine ziehen? Mein Freund blickte mich ausdruckslos an. Ich zischte ihm zu, was Daffy Duck in einem meiner Zeichentrickfilme zwischen seinem Schnabel Bugs Bunny entgegenlispelte: »You realithe thith meanth War.« – Dir ist klar – das bedeutet Krieg.
    Torsten nickte. Pubertät ist Krieg, und nur die Besten kommen durch. Durch mein unbedachtes Vorpreschen stand es nun 1:0 für ihn.

    Neben dem geschlossenen Strandkiosk folgten die beiden Grazien nicht mehr der Schotterstraße, sondern betraten die verlassene Liegewiese. Insgesamt hatten wir den berechtigten Eindruck, dass sie diesen Weg nicht zum ersten Mal beschritten. Vermutlich machte

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