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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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Prinz Kenwood regelmäßig einen drauf, und wir waren diesmal die Auserwählten. Oder die einzig Verfügbaren. Oder es war eine erste Wirkung unserer Musikinstrumente! Diese Sache mit »Band« und »Mädels«, von der man sich erzählte …
    Am Ende der Liegewiese war ein recht martialisch aussehender Stacheldrahtzaun gespannt. Etwas weiter links hing ein Schild, das wir im Dunkeln nicht lesen konnten. »Privat – Zutritt verboten« lasen wir anderntags darauf, und wir hatten uns schon so etwas gedacht. Denn kaum hatten wir mit spitzen Fingern den Zaun hochgehoben, damit sich Gerdi überraschend wendig darunter durchgewobbelt hatte, standen wir auf einem Feld. Um uns herum wuchsen die Halme irgendeiner Müsli-Zutat in die Höhe, und nach nur einem Meter querfeldein im wahrsten Sinne war vom Campingplatz aus nichts mehr von uns zu erkennen. Für ein paar Sekunden waren wir beide orientierungslos und folgten nur dem Rascheln vor uns.
    Doch dann stoppten wir erstaunt: Wir waren auf eine freie Fläche von vielleicht drei Metern getreten, wo alle Halme gründlich abgeknickt und flachgetrampelt waren. Gerdi und Claudia zogen jeweils eine Taschenlampe hervor und steckten sie schräg in die Erde. Dann zogen sie ihre Jacken aus und setzten sich darauf. Gerdis Jacke hatte die Größe eines Zeltes, und als sie sich darauf gesetzt hatte, war nichts mehr davon zu sehen. Imposant. Mit einer Mischung aus Faszination und Panik vertrieb ich die Vorahnung aus meinem Kopf, dass ich heute noch die Jacke sein würde. Oh nein, ich würde alles dafür tun, dass Torsten unter dem tarnfarbenen Wal landete. Ja, wir waren befreundet, aber die Schlacht war eröffnet.
    Etwas zu spät realisierte ich, dass gerade dräuender Moment der Stille herrschte, und auch Torsten reagierte erst jetzt. Offensichtlich erwartete man von uns, dass wir nun musizierten. Okay, konnten sie haben. Wir würden ihnen alle drei Songs vorspielen, die wir konnten. Rauf und runter. Ich setzte mich in den Schneidersitz und suchte etwas unsicher die Positionen auf dem Griffbrett für den ersten von viereinhalb Akkorden, die ich konnte. Ein a-Moll. Es folgte ein G-Dur und dann wieder a-Moll und immer hin und her.
    Torsten setzte mit den Bongos ein, und langsam holperten wir uns in den Groove von »Lady in Black« von Uriah Heep – oder das, was wir davon übrig ließen. Man möge bitte nicht vergessen, dass wir erst seit wenigen Wochen angefangen hatten, auf diesen Instrumenten zu spielen, und das schloss den Gesang ganz ausdrücklich mit ein.
    Den Text kann ich heute noch, und ich meine nicht nur den Ahhhahahaaa-Refrain. Ab der dritten Strophe wurde ich auch etwas sicherer, und gegen Ende machte es fast sogar ein bisschen Spaß. Hätten wir jetzt einfach nur einen Schlussakkord gespielt und dann ein bisschen Konversation gemacht, wäre vielleicht alles gut verlaufen. Leider waren wir ein wenig zu beflügelt und dudelten einfach weiter. Torsten wechselte in einen anderen Beat, ich fand die Eins nicht und konnte gar nicht sagen, ob es überhaupt eine gab. Torsten focht das nicht an, und er trommelte auf seinen Bongos, als gälte es, ein Drum-Battle gegen Cozy Powell zu gewinnen. Irgendwann hörte ich auf, armselig nach dem Takt zu suchen, und Torsten döngelte noch eine Weile alleine selbstvergessen weiter. Dann irgendwann bemerkte er endlich, dass ich nicht mitspielte, und sah mich auffordernd an. Ich aber verzog das Gesicht nur zu einem bösartigen Lächeln und verschränkte die Arme. Dein Solo, Totti.
    Und Totti solierte. Und solierte. Und wiederholte sich … wurde langsamer … schlechter … versagte. Yes.
    Während er sich die schmerzenden Finger hielt, die er sich wiederholt an den Metallstellschrauben der Bongos geprellt hatte, holte ich zum alles entscheidenden Schlag aus.
    Ich spielte »Lady D’Arbanville« von Cat Stevens. Das hatte ich zu Hause neu geübt, und Torsten kannte es noch nicht. Schon während der ersten Zeilen merkte ich, dass meine Performance ihre Wirkung nicht verfehlte. Ich legte noch ein wenig mehr Sehnsuchtsschmerz in die Zeilen und schloss gar ach so verträumt die Augen. Leider war ich noch nicht ansatzweise sicher genug, um mit geschlossenen Augen Gitarre zu spielen, und schon schmetterte ich einen dermaßen schrägen Griff in das leuchtende Ährengold, dass die anderen drei synchron das Gesicht verzogen. Mist.
    Torsten sah mich an, ich ihn. Wortlos schlossen wir einen Nichtangriffspakt und spielten noch einen Song zusammen:

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