Das Wahre Kreuz
ihr Vorhaben ausgeführt, wäre sie von den Soldaten, die Bonaparte verehrten, bei lebendi-gem Leib in Stücke gerissen worden. Ich hielt sie am Boden nieder und entwand ihrer Hand den Dolch.
Von allen Seiten stürzten Grenadiere herbei, und dicht vor Aflahs Gesicht funkelten die Bajonette.
»Nicht zustoßen!« schrie ich. »Es besteht keine Gefahr mehr!«
Binnen weniger Sekunden hatte sich die eben noch so feierliche Versammlung auf dem Esbekijehplatz in ein Tollhaus verwandelt. Menschen schrien durcheinander, die Masse geriet in Wallung, und die Grenadiere rückten mit gefällten Bajonetten vor, um ihren Oberbefehlshaber zu schützen. Aber kein Schuß fiel, und kein Bajonett fuhr in Aflahs Leib. Während ich noch auf ihr hockte und sie festhielt, hörte ich General Bonaparte sprechen, und ich konnte nicht anders, als ihn für seine Kaltblütigkeit zu bewundern. Und für die Fähigkeit, sich blitzschnell auf eine neue Lage einzustellen. Er hielt den Rosenkranz, den der alte Ägypter ihm geschenkt hatte, über seinen Kopf und sagte mit lauter, fester Stimme: »Meine Freunde, mir ist nichts geschehen! Seht diesen Rosenkranz, den schon der Prophet Mohammed berührte! Er hat mich vor dem Bösen beschützt und verhindert, daß das Band zwischen euch und mir zerschnitten wird. Allâh hält eine schützende Hand über mich!«
Die Menge beruhigte sich wieder, und die Menschen starrten mit großen Augen den Rosenkranz an in dem festen Glauben, Zeugen eines Wunders oder zumindest göttlichen Eingreifens geworden zu sein. Der Sultan des Feuers stand unter Allâhs Schutz!
Diesen Satz und ähnliche hörte ich von allen Seiten.
Und so verstand Bonaparte es, aus dem Anschlag noch Kapital zu schlagen.
An eine Fortsetzung der Geschenkübergabe schien niemand zu denken. Ohnehin hatten die meisten Ägypter ihre Gaben überreicht, und so trafen die Grenadiere auf keinen Widerstand, als sie den Platz mit sanftem Druck räumten. Ich sah in Aflahs Gesicht. Tränen standen in ihren Augen, und ihre Züge waren von Trauer, Wut und Haß gezeichnet, einem Haß, der mir ebenso zu gelten schien wie dem Mann, den sie hatte töten wollen.
34. KAPITEL
Die Unglückliche
ie Grenadiere brachten Aflah, deren Hände mit D Stricken gefesselt wurden, in den Kartenraum, in dem mein Onkel und ich zuvor mit General Bonaparte gesprochen hatten. Auch wir gingen wieder mit hinein, und niemand hinderte uns.
Aflah wich meinem Blick beharrlich aus und starrte die meiste Zeit auf den Boden. Die Soldaten spran-gen sehr rauh mit ihr um. Am liebsten hätte ich sie zur Ordnung gerufen, aber ich wollte sie nicht noch mehr gegen die Gefangene aufbringen.
Schließlich trat, eskortiert von den anderen Generä-
len, Bonaparte ein, in einer Hand den Rosenkranz, in der anderen den Dolch, mit dem Aflah ihn hatte töten wollen. Die Waffe hatte eine beidseitig geschliffene Klinge und einen schmalen Griff, der für schlanke Frauenhände besonders geeignet war.
»Eine tödliche Waffe«, sagte Bonaparte. »Vorausge-setzt, man stößt schnell genug zu.«
Während er noch sprach, machte er einen Satz in Aflahs Richtung und ließ den Dolch auf ihren Hals zufahren. Aflah wollte zurückweichen, doch die Grenadiere hielten sie eisern fest. Die Klinge ritzte ihre Haut, und ein dünner Blutfaden rann über ihren Hals.
»Pardon, Mademoiselle, ich hätte mich beinahe vergessen«, sagte Bonaparte und wischte die blutige Klinge an Aflahs Gewand ab. »Schließlich haben Sie mir auch nichts getan. Allerdings ist das nicht Ihr Verdienst.« Er hielt den Rosenkranz hoch und lachte. »Allâh und sein Prophet Mohammed haben mich gerettet. Eigentlich müßte ich Ihnen für den Anschlag sogar dankbar sein.
Jetzt hält man mich für unverwundbar und wird es nicht so schnell noch einmal wagen, gegen mich aufzu-begehren. Jede Wette, daß die Geschichte bereits in Kairo die Runde macht. Besser hätte ich selbst es nicht arrangieren können!«
Die Generäle und dann auch die Grenadiere fielen in sein Lachen ein, Onkel Jean und ich aber blieben ernst.
Die Sorge um Aflah wog für uns schwerer als Bonapartes Triumph. Aflah vergaß ihre Zurückhaltung und spuckte Bonaparte ins Gesicht.
»Das sind unfeine Manieren«, sagte dieser, während er sich mit einem Ärmel über das Gesicht wischte. »Einer jungen Dame unwürdig, möchte ich meinen, allerdings kenne ich mich in Mörderkreisen nicht so gut aus.« Unvermittelt drehte er sich zu mir um. »Mangelt es unserer Gefangenen etwa an einer
Weitere Kostenlose Bücher