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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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gleich sind im Angesicht Gottes, den ihr Allâh nennt. Nicht der Glaube unterscheidet die Menschen, nicht die Farbe ihrer Haut, sondern allein ihr Verstand, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Wenn Ägypter und Franzosen das stets beachten, und dafür will ich eintreten, werden wir künftig wie Brüder und Schwestern in Eintracht miteinander leben!«
    Als Venture mit der Übersetzung geendet hatte, brach ein ohrenbetäubender Jubel los. Die Menschen waren wohl einfach erleichtert zu hören, daß Bonaparte keine Sanktionen gegen sie plante, sondern sie als Brü-
    der und Schwestern bezeichnete. Daß seine Worte wenig Neues enthielten, spielte da keine Rolle. Nach der Einnahme Alexandrias hatte Bonaparte eine Proklamation an die in seiner Marschrichtung liegenden Ortschaften gesandt, um deren Einwohner zu beruhigen, und fast alles, was er soeben verkündet hatte, erinnerte mich an Passagen aus jenem Schreiben.
    Als der Jubel nach langen Minuten verebbte, trat ein alter, bärtiger Ägypter, der einen bronzebeschlagenen Kasten in den Händen hielt, vor und sagte: »Mächtiger Sultan des Feuers, wir, die Einwohner Kairos, danken dir für deine weisen und guten Worte. Schatten sind auf unsere Stadt und unsere Seelen gefallen, weil einige von uns den Frieden gebrochen und die Waffen gegen unsere Freunde aus dem Frankenland erhoben haben. Jetzt wissen wir, daß du kein zorniger, sondern ein gütiger Sultan bist. Wir sind hier, um dich unserer unverbrüchlichen Treue zu versichern und dir unsere Geschenke zu überreichen, wie sie nach unserem Brauch der Gast dem Gastgeber überreicht. Das soll dir zeigen, daß wir dich als Herrn über uns, unsere Stadt und unser Land anerkennen. Es sind nur kleine Gaben, denn wir sind nicht die wohlhabenden, sondern die einfachen Einwohner Kairos. Aber es sind Gaben, die jedem von uns etwas bedeuten und somit hoffentlich auch dir. In diesem Kasten liegt ein Rosenkranz mit hundert Perlen, um Allâhs Namen und seine neunundneunzig Beinamen aufzuzählen. Er befindet sich seit Generationen im Besitz meiner Ahnen, und man erzählt sich, der Prophet selbst hätte ihn einmal berührt. Dieser Rosenkranz soll über die Kraft verfügen, Krankheiten zu heilen und das Böse fernzuhalten. Ich lege ihn dir zu Füßen!« Während Venture noch übersetzte und der Alte vor Bonaparte trat und niederkniete, um sein Geschenk vor ihm auf den Boden zu stellen, mußte ich an das Gespräch denken, das ich mit meinem Onkel über die Bedeutung von Reliquien geführt hatte. Offenbar sehnte sich jeder Gläubige nach etwas, das greifbarer war als das para-diesische Jenseits. Bei den einen mochte es das Wahre Kreuz sein, bei den anderen ein Rosenkranz, der angeblich schon durch die Hände des Propheten Mohammed gegangen war. Ich meinte, irgendwo gelesen zu haben, daß Mohammed nie einen Rosenkranz benutzt hatte.
    Vielleicht täuschte ich mich, vielleicht war das für den alten Ägypter auch nicht wichtig. Hauptsache, er hatte einen Gegenstand, an dem er seinen Glauben festma-chen konnte.
    Als der Alte sich erhob, ergriff Bonaparte seine Schultern, drückte ihn an sich und küßte ihn brüderlich auf beide Wangen, was den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Ein Raunen ging durch die Menge, begleitet von Rufen, die den Sultan des Feuers hochleben ließen.
    Einer nach dem anderen trat jetzt vor, um Bonaparte seine Gabe zu Füßen zu legen. Venture übersetzte gewissenhaft, um was es sich handelte, und der Schreiber trug ebenso gewissenhaft jeden einzelnen Gegenstand in eine Liste ein. Vermutlich nicht nur, damit der Beschenkte den Überblick behielt, sondern auch, um damit in einer Erklärung an die Bevölkerung Kairos auf-zutrumpfen, die Bonaparte gewiß herausgeben würde.
    Als die meisten Gaben schon überreicht waren, trat eine verschleierte Frau vor und murmelte etwas von einer wertvollen Kette, die sie dem Sultan des Feuers schenken wolle. Sie hielt einen länglichen, schmucklosen Holzkasten in Händen, den sie aber Bonaparte nicht zu Füßen legte. Statt dessen öffnete sie ihn, als wolle sie dem General das Geschenk zeigen. Sie griff mit der Rechten in den Kasten, und gleichzeitig verrutschte ihr Schleier.
    »Aflah!« rief ich überrascht.
    Als Maruf ibn Saads Tochter ihren Namen hörte, zögerte sie eine Sekunde. Ich sah den Dolch in ihrer Hand; die Spitze war auf Bonaparte gerichtet.
    Daß ich mich auf sie warf und sie mit mir zu Boden riß, geschah nicht des Generals wegen, sondern um sie zu retten. Hätte sie

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