Das Wahre Kreuz
Salon auf uns warte. Es war niemand anderer als Aflahs Vater, und er sah aus wie ein Gespenst. Er schien um Jahre gealtert, die Schultern waren nach vorn gesunken, und sein Gesicht wirkte trotz orientalischer Bräune aschfahl.
Er stand mitten im Raum und fragte ohne ein Wort der Begrüßung: »Ist meine Tochter noch am Leben?«
»Sie lebt, aber General Bonaparte will sie hinrichten lassen«, antwortete mein Onkel. »Wie haben Sie so schnell davon erfahren?«
»Es geht schneller von Haus zu Haus, als der Wind bläst. Ein Junge kam vorbei und hat sich mit der bösen Nachricht auch noch ein Trinkgeld verdient. Wie geht es Aflah?«
»Sie scheint sehr gefaßt. Aber sie hat kein Wort gesagt, und so wissen wir nicht, wie es in ihrem Inneren aussieht.«
»Sie hat schon lange nur noch das Nötigste gesagt.
Ihre Gedanken lagen ebenso hinter dem Schleier verborgen wie ihr Gesicht. Seit Hassans Tod hat sie sich verändert. Ich habe mir Sorgen um sie gemacht, große Sorgen, aber ich hätte niemals gedacht, daß sie so weit gehen würde. Aflah, die Glückliche, habe ich sie genannt, weil das Glück ihr immer lächeln sollte. Jetzt könnte ich mir keinen unpassenderen Namen vorstellen. Die Unglückliche müßte sie heißen!«
»Können wir irgend etwas für Sie tun, Maruf ibn Saad?« fragte ich.
»Für mich? Nein, nicht für mich, aber für meine Tochter. Bewahren Sie Aflah vor dem Tod, ich bitte Sie!«
»Mein Neffe hat es versucht«, erklärte Onkel Jean.
»Vergebens. Bonaparte ist fest entschlossen, an ihr ein Exempel zu statuieren. Das sind seine Worte.«
»Sie müssen ihn umstimmen!« flehte Maruf. »Ich weiß, daß Sie das können!«
Mein Onkel schüttelte den Kopf. »Da überschätzen Sie unseren Einfluß, mein Freund.«
»Tun Sie es!« sagte der verzweifelte Vater, jetzt mit einer Schärfe, die mich überraschte. »Retten Sie Aflah, und ich helfe Ihnen, das Beduinenmädchen zu finden!«
»Wovon sprechen Sie?« fragte mein Onkel.
»Von der Beduinin, die hier gewohnt hat, bevor Bonaparte sie in seinen Palast holte. Von der Frau, die seit dem Angriff auf den Palast verschwunden ist und nach der Sie suchen.«
»Sie wissen davon?«
»Ich lebe seit Jahrzehnten in Kairo und habe gute Bekannte, die mir zutragen, was in der Stadt vor sich geht. Ihr Europäer haltet Dinge für geheim, die die Einheimischen einander lachend beim Abendkaffee erzählen. Ja, ich weiß von der Frau und ihrer Entführung. Sie meinen, daß die Ritter mit dem doppelten Kreuz dahin-terstecken, nicht wahr? Ich weiß nämlich auch, daß Sie ein Schwert mit diesem Zeichen im Garten von Bonapartes Palast gefunden haben. Und ich weiß noch mehr.
Ich kann Ihnen sagen, wo Sie die Ritter finden!«
Ich trat auf ihn zu, bis ich dicht vor ihm stand.
»Woher wissen Sie das?«
Maruf wich keinen Schritt zurück. »Das erfahren Sie, wenn es soweit ist. Erst will ich meine Tochter sehen und die Gewißheit haben, daß sie am Leben bleibt!«
»Was gibt uns die Sicherheit, daß Sie uns nicht hin-tergehen?« fragte ich.
»Meine Ehre und mein Ruf.«
Onkel Jean faßte mich am Arm und zog mich von Maruf weg. »Also gut, wir versuchen noch einmal unser Glück bei Bonaparte«, sagte er. »Ich werde ihn sogleich aufsuchen.«
»Danke«, erwiderte Maruf und schickte sich an, den Salon zu verlassen. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Verzeihen Sie, daß ich uneingeladen in Ihr Haus gekommen bin. Das gehört sich nicht für einen Mann von Ehre, aber ich war verzweifelt. Seien Sie versichert, daß es nicht wieder vorkommen wird.«
Als er gegangen war, griff ich nach der Wasserkaraf-fe auf dem Tisch, goß eins der daneben aufgereihten Gläser randvoll und leerte es in einem Zug.
»Das ist ein Tag voller Überraschungen. Glauben Sie, Onkel, daß er es ehrlich mit uns meint?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Dann müssen wir Bonaparte umstimmen!«
»Nicht wir, sondern ich, Bastien. Deine Gegenwart scheint ihn, jedenfalls ist das mein Eindruck, etwas zu enervieren. Nein, keine Widerrede. Außerdem solltest du dich ein paar Minuten hinlegen, du wirkst sehr mitgenommen.«
»Aber wie wollen Sie Bonaparte überzeugen, Onkel?«
»Ich denke, wir müssen ihn einweihen.«
»Sie wollen ihm von dem Wahren Kreuz erzählen?
Aber das wäre ein Verrat an Ourida!«
»Was ist dir wichtiger, Bastien? Willst du ihr Geheimnis bewahren? Oder willst du sie aus den Fängen der Ritter vom Verlorenen Kreuz, die ihr ja wohl nach dem Leben trachten, befreien?«
Ich setzte
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