Das Wahre Kreuz
müssen die Expedition verschieben.«
Enttäuscht ergriff ich das Wort: »Gerade weil die Lage in der Wüste so unsicher ist, sollten Sie mehr Truppen zum Tempel schicken, Bürger General. Die Bücher in der Geheimbibliothek könnten von unschätzbarem Wert sein.«
Ein Hauch von Zweifel trat in Bonapartes Züge, während er seinen Blick auf mich richtete. »Was hat es mit dieser Bibliothek auf sich?«
Ich erzählte, wie wir die unterirdische Bibliothek gefunden hatten, und bemerkte sein wachsendes Interesse.
Während ich noch sprach, hörten wir von draußen laute Stimmen und Schüsse. Wir eilten an die Fenster und sahen eine große Menschenmenge, die sich vor dem Palast versammelt hatte. Männer und Frauen in Lan-destracht drängten sich dort und wurden, wie es aussah, nur von den Bajonetten der Grenadiere davon abgehalten, in den Palast einzudringen.
»Ein neuer Aufstand?« entfuhr es General Berthier.
»Das werden wir gleich wissen«, sagte Bonaparte und wandte sich an einen Adjutanten. »Leutnant, gehen Sie, und fragen Sie den Wachhabenden, was der Lärm soll!«
Während der junge Offizier hinauseilte, beobachteten wir den Vorplatz weiter.
»Wie ein Aufstand sieht mir das nicht aus«, meinte Onkel Jean. »Die Gesichter sind nicht zornig, sondern eher verängstigt. Wahrscheinlich wegen der Schüsse eben.«
»Hoffentlich haben Sie recht, Professor«, brummte Berthier.
Wenig später kam der Adjutant zurück und meldete:
»Bürger General, die Menschen dort wollen Ihnen Geschenke überbringen.«
»Geschenke? Mir? Warum?«
»Um Sie ihrer Treue zu versichern.«
»Und wer hat auf sie geschossen?«
»Die Wachen. Sie haben sich von den Leuten be-drängt gefühlt.«
»Idioten!« schnappte Bonaparte und fixierte den Adjutanten.
»Geschenke also, hm?«
»Ja, Bürger General. Die Menschen kommen aus allen Stadtteilen. Es sind zumeist einfache Leute. Jeder einzelne bringt ein Geschenk für Sie. Sie wollen sich mit Ihnen versöhnen.«
»Ausgezeichnet«, befand Bonaparte. »Wenn das in Kairo die Runde macht – und wir werden dafür sorgen, daß es das tut –, wird den Aufrührern der Wind aus den Segeln genommen. Gut gemacht, Leutnant. Gehen Sie wieder hinunter, und sagen Sie den Leuten, daß ich gleich bei ihnen sein werde.«
Als der Adjutant gegangen war, wandte Lannes sich mit besorgter Miene an Bonaparte: »Sie sollten nicht da rausgehen! Es ist viel zu gefährlich. Da können sich leicht Aufständische unter die Menge gemischt haben.«
Berthier sekundierte ihm: »Hüte dich vor den Griechen und ihren Geschenken!«
Bonaparte lächelte. »Ich weiß, wie gebildet Sie sind, Berthier. Aber Sie vergessen, daß wir nicht in Troja sind und daß da draußen keine Griechen auf uns warten. Und Sie, mein guter Freund Lannes, sind stets um mich besorgt, das weiß ich auch. Aber mir ist um meine Sicherheit nicht bange. Die Grenadiere da unten sind mit der Waffe schnell bei der Hand, das haben sie eben gezeigt. Diese einzigartige Gelegenheit, ein Zeichen der Versöhnung zwischen uns und den Ägyptern zu setzen, dürfen wir nicht ungenutzt verstreichen lassen. Außerdem ist da noch ein Punkt.«
»Ja?« fragte Lannes.
Aus Bonapartes Lächeln wurde ein breites Grinsen.
»Ich liebe Überraschungsgeschenke.«
Mein Onkel und ich begleiteten Bonaparte, seine Generäle und Adjutanten, einen Schreiber und den Bürger Venture, der fließend Arabisch und Türkisch sprach und Bonaparte als Übersetzer diente, auf den Vorplatz. Dort war es dem Adjutanten gelungen, die Menge zu beruhigen, und erwartungsvolle Gesichter starrten uns an.
Bonaparte begann zu sprechen, und Venture übersetzte Stück für Stück: »Bürger Kairos, ihr seid heute zu mir gekommen, um euch mit mir und allen Franzosen zu versöhnen. Ich empfinde tiefe Dankbarkeit für diese großmütige Geste, und ich empfinde Freude, denn ihr tut das Richtige. Man mag euch eingeredet haben, wir seien in euer Land gekommen, um euch euren Glauben streitig zu machen und euch auszubeuten. Das ist nicht wahr! Sagt jenen, die euch belügen und verführen, daß ich zu euch gekommen bin, um eure Rechte zu wahren und euch von jenen zu befreien, die euch seit Jahrhunderten unterdrücken. Jene, die Mamelucken, geben vor, nach dem Koran zu leben, und doch behandeln sie euch, ihre Glaubensgenossen, wie niedere Wesen. Ich lebe mehr nach den Gesetzen des Korans als jene. Ich gewähre euch Freiheiten, sorge für Sauberkeit und Sicherheit und glaube daran, daß alle Menschen
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