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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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und das Gesicht erneut verschwimmen lassen wollte. Das Gesicht schien hin und her zu schwingen wie ein riesiges Pendel, und mit jeder Bewegung verblaßten seine Konturen. Ich schloß die Augen und atmete tief und gleichmäßig, bis ich mich etwas besser fühlte.
    Dann öffnete ich die Augen wieder.
    Das Gesicht war immer noch da, und jetzt pendelte es nicht mehr. Je länger ich es betrachtete, desto deutlicher wurde es, und ich erkannte meinen Irrtum. Das war nicht mein Onkel. Der Mann, der mich aus dunklen Augen ansah, war mir unbekannt. Ich hielt ihn für einen Ägypter, vielleicht vierzig oder fünfundvierzig Jahre alt. Sein einst wohl pechschwarzes Haar wurde von ersten grauen Strähnen durchzogen; der Bart um Mund und Kinn war bereits mehr grau als schwarz.
    Sein Gesicht sah aus wie gegerbt von Sonne und Wind, ganz so, als könne er sich ungeschützt einem Chamsin entgegenstellen, ohne Schaden zu nehmen.
    Der Chamsin!
    Die Erinnerung an den tödlichen Wind kehrte zu-rück und an den Angriff der Kreuzritter, bei dem Leutnant Dumont und seine Husaren ihr Leben gelassen hatten. Davon ging ich zumindest aus. Als Dumont starb, hatte ich keinen seiner Männer mehr kämpfen sehen.
    Unwillkürlich richtete ich mich auf. Mein Blick suchte die Kleidung des Bärtigen nach dem doppelten Kreuz ab. Er trug nichts dergleichen, sondern ein Gewand aus weißer Wolle, das durch einen schwarzen Gürtel zu-sammengehalten wurde. Erleichtert ließ ich den Kopf zurück aufs Kissen sinken.
    »Sei unbesorgt, Musâfir, du bist bei Freunden«, sagte der Bärtige mit einer Stimme, deren tiefes, sanftes Timbre etwas Beruhigendes hatte. »Von uns droht dir keine Gefahr.« Ich fand es verwirrend, daß er franzö-
    sisch gesprochen, bei der Anrede aber ein arabisches Wort benutzt hatte: Musâfir – Gast. Sagt ein Muslim das zu einem Fremden, gewährt er ihm das Gastrecht, das den Orientalen heilig ist. Ein Muslim, der dieses Gastrecht bricht, hat bei den Seinen für alle Zeit das Gesicht verloren. Der Mann, mein Gastgeber, mußte das Wort ganz bewußt benutzt haben, denn dadurch stellte er mich unter seinen persönlichen Schutz.
    Ich sah mich um und nahm zum ersten Mal wahr, daß ich in einem Zelt lag, einem Beduinenzelt, wie ich vermutete. Mein Lager war durch einen mit Stickerei verzierten Vorhang vom Rest abgeteilt. Aber der Vorhang war nicht ganz zugezogen, und so konnte ich erkennen, daß es sich um ein sehr großes Zelt handelte.
    Je länger ich über meine Lage nachdachte, desto ruhiger wurde ich. Offensichtlich war ich in meinem hilf-losen Zustand den Menschen hier, wer immer sie waren, ausgeliefert. Hätten sie mir etwas antun wollen, wäre dazu mehr als genug Gelegenheit gewesen. Statt dessen kümmerten sie sich um mich und pflegten mich.
    Ich war tatsächlich ihr Gast, ihr Musâfir.
    Unbewußt mußte ich das arabische Wort laut ausgesprochen haben, denn der Mann neben mir nickte.
    »Du verstehst unsere Sprache. Dann weißt du, daß du von uns nichts zu befürchten hast.«
    Ich brauchte drei oder vier Anläufe, um zu antworten; meine Stimme war wie eingerostet. »Ich verstehe ein paar Brocken von deiner Sprache, Saiyid, aber ich spreche sie längst nicht so gut wie du die meinige.«
    Saiyid ist eine höfliche Anrede und bedeutet soviel wie unser Monsieur.
    Der Beduine schmunzelte. »Nenn mich einfach Jussuf.«
    Ich nickte, was ich jedoch sogleich bereute, denn es fühlte sich an, als hätte mir jemand eine Stricknadel in den Kopf gestoßen.
    »Hast du noch immer Schmerzen, Musâfir?«
    »Wie ich gerade festgestellt habe, ja.«
    »Der Hakim, der dich untersucht hat, sagt, dein Kopf muß schon früher eine Verletzung abbekommen haben, sonst hätte es dich nicht so sehr mitnehmen dürfen.«
    »Euer Hakim ist ein kluger Mann. Den schlimmen Kopf habe ich schon seit meiner Kindheit.«
    Ich dachte an den Bauern Martin und die Schläge, die er mir versetzt hatte. Während der ersten Monate im Kloster hatte ich mir oft ausgemalt, wie ich als Erwachsener auf den Hof zurückkehren und ihn töten würde, aber inzwischen empfand ich keinen Haß mehr auf ihn.
    Plötzlich fiel mir ein, daß ich mich meinem Gastgeber noch nicht vorgestellt hatte. Also nannte ich meinen Namen. Ein gequältes Lächeln trat auf Jussufs Gesicht.
    »Ich komme mit deiner Sprache zwar einigermaßen zurecht, aber die Worte sind doch für meine Zunge nicht einfach zu formen. Sei nicht gekränkt, aber dein Name erscheint mir wie ein mehrfach verschlungener Knoten. Wenn du

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