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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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lauter Stimme Einhalt gebot, ein großer, dunkel gekleideter Mann, nicht dick, aber offenkundig von kräftiger Statur. Alle auf dem Hof schienen ihm einen natürlichen Respekt entgegenzubringen. Der Bauer hielt inne und sah den Reiter abwartend an.
    »Was hat das zu bedeuten, Martin?« fragte dieser in scharfem Ton und zeigte auf mich. Der Bauer hob die Faust, an der mein Blut klebte, und schüttelte sie, aber nicht gegen den Reiter, sondern gegen mich. »Er ist ein Dieb! Er stiehlt unser Brot und unseren Käse. Wir arbeiten hart von morgens bis abends. Der da macht es sich leicht und nimmt sich einfach, wofür er keinen Finger gerührt hat!«
    »Er ist noch ein Junge, ein Kind«, sagte der Reiter mit ruhiger, aber fester Stimme.
    Martin hob trotzig den Kopf. »Wer alt genug ist, um zu stehlen, ist auch alt genug, die verdiente Strafe ent-gegenzunehmen!«
    »Der Junge sieht mir nicht gerade wohlgenährt aus.«
    Der Reiter richtete sich im Sattel auf und musterte die Umstehenden einen nach dem anderen. »Im Gegensatz zu einigen von euch. Er stiehlt nicht um des Stehlens willen, sondern weil er Hunger hat!«
    Eine rundliche Frau, wohl die Bäuerin, trat an Martins Seite. »Wir alle haben Hunger, Abbé.«
    Ein Abbé war er also, ein Abt. Vermutlich der des Klosters St. Jacques.
    Er schaute die Bäuerin an. »Du sprichst wahr, Ma-rie, alle Menschen haben Hunger, und alle müssen essen. Auch dieser Junge.«
    »Dann soll er für sein Essen arbeiten!« grollte Martin.
    »Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden«, sagte der Abt. »Aber seht euch das dürre Kerlchen doch einmal an! Welcher Bauer würde ihn schon als Knecht einstellen?«
    Einige in der Runde nickten und brummelten zu-stimmend. Martin aber blieb störrisch. »Ist das meine Schuld? Soll er ordentlich essen und Kräfte sammeln, dann findet er auch eine Stellung!«
    »Das ist ein Teufelskreis, Martin«, belehrte ihn der Abt. »Er soll essen, um zu arbeiten. Aber wenn er essen soll, muß er sich das erst durch Arbeit verdienen. Wie soll der Junge diesen Kreis durchbrechen außer durch Stehlen?«
    Der Bauer schüttelte den Kopf. »Daß Sie, unser Ab-bé, einen Dieb in Schutz nehmen, verstehe ich nicht.
    Diebstahl ist eine Sünde, sagt der Herr.«
    »Ja, aber der Herr predigt auch die Nächstenliebe.
    Der heilige Martin, dein Namensvetter, mußte sich seinen Mantel nicht stehlen lassen, weil er ihn freiwillig teilte.«
    »Der war auch reicher als ich«, murrte Martin und wich dem fordernden Blick des Geistlichen aus. »Wenn sich herumspricht, daß man auf meinem Hof essen kann, ohne dafür zu arbeiten oder zu bezahlen, fressen mir die Strauchdiebe und Rumtreiber bald die Haare vom Kopf!«
    »Dann soll es sich nicht herumsprechen«, entgegnete der Abt und stieg aus dem Sattel.
    Eine Magd hielt den Zügel fest, als er auf uns zukam. Er griff in eine seiner Manteltaschen und drückte Martin etwas in die Hand. Ich meinte, ein paar schimmernde Münzen zu erspähen.
    »Das sollte mehr als genug sein für etwas Käse und Brot«, sagte er und sah Martin abwartend an.
    Der warf einen kurzen Blick auf die Münzen, bevor er sie blitzschnell in seiner Hosentasche verschwinden ließ. »Und was soll jetzt mit dem da werden?«
    »Ich nehme ihn mit ins Kloster.« Der Abt wandte sich an die beiden Knechte, die mich noch immer fes-thielten. »Laßt ihn gehen!«
    Als der Bauer ihnen ein Zeichen gab, leisteten sie der Aufforderung Folge. Ich war durch die Schläge derart mitgenommen, daß ich zu Boden sackte. Die Erde war kühl, und ich empfand die Berührung als sehr angenehm. Der Abt hob mich vorsichtig auf die Füße und betrachtete mein zerschundenes Gesicht. In seinem eigenen arbeitete es sichtlich, und ich glaubte, darin eine Mischung aus Mitleid und Wut zu lesen. Dann fiel sein Blick auf etwas, das am Boden lag. Zusammengefaltete Blätter, die aus meiner Tasche geglitten waren. Er hob sie auf.
    »Gehört das dir?«
    Ich nickte schwach.
    Er schien überrascht. »Du kannst schreiben?«
    Jetzt schüttelte ich den Kopf.
    Neugierig faltete er das erste Blatt auseinander, eine Zeichnung des Klosters, die ich aus der Ferne angefertigt hatte. »Das ist gut!« Er betrachtete die Zeichnung eingehend. »Du hast das Kloster getreu getroffen, und doch ist es kein bloßes Abbild der Wirklichkeit. Du hast Talent, Junge! Bei wem hast du das gelernt?«
    Ich sah ihn verständnislos an. Ich zeichnete, wann immer ich etwas Papier fand. Einfach so. Ich hatte noch nie davon gehört, daß man es

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