Das Wahre Kreuz
Jahre meiner Kindheit ein.
16. KAPITEL
Rabja und ihr Freund
in Kindergesicht, ganz dicht vor mir, blickte mich E neugierig an. Gehörte es einem der Jungen, die mit mir die Schule von St. Jacques besuchten? Ich fuhr mir über die Augen, und allmählich klärten sich mein Blick und meine Gedanken. St. Jacques war nur ein Traum gewesen, ein Ausflug in eine längst vergangene Zeit. Ich lag in dem Beduinenzelt.
Dennoch blickte ich in ein kindliches Gesicht, das mich unentwegt anstarrte – das Gesicht eines Mädchens. Es war dasselbe Gesicht, das ich schon früher schemenhaft wahrgenommen hatte. Das Beduinenkind mochte acht Jahre zählen, war also in etwa so alt wie ich zu dem Zeitpunkt, als Onkel Jean mich ins Kloster holte.
Jetzt erst bemerkte ich, daß die kleinen Hände des Mädchens sich in meinem Arm verkrallt hatten und heftig an mir zogen. Vermutlich war ich davon aufgewacht.
»Wer bist du?« erkundigte ich mich. »Was willst du?«
Der verständnislose Blick des Kindes überraschte mich zunächst, doch dann begriff ich: Das Französische mochte unter den Menschen hier erstaunlich weit verbreitet sein, dem Kind ab er sagten meine Worte nichts.
Ich kramte ein paar Brocken Arabisch zusammen und fragte: » Ismuki ? – Wie heißt du?«
»Rabja«, antwortete das Mädchen.
Rabja war ein selten gebrauchtes arabisches Wort für Mädchen, wenn ich mich richtig entsann, ein passender Name für das Kind mit dem unschuldigen Gesicht, wie ich fand. Ich fragte weiter: » Mâ sha’nuki, Rabja ? – Was möchtest du, Rabja?«
Die Antwort fiel länger aus, aber ich verstand nur so viel, daß ich ihr helfen sollte. Wobei?
» Ma fihimtisch «, seufzte ich. »Ich verstehe dich nicht.« Rabja zog immer heftiger an meinem Arm, zerrte geradezu daran. Ich sollte mit ihr kommen, so viel war klar. Ihr flehender Blick rührte mich, also beschloß ich, ihr zu helfen. Doch kaum hatte ich mich erhoben, bereute ich meinen Entschluß. Die Zeltbahnen um mich herum wackelten und begannen sich mit schwindeler-regender Geschwindigkeit um mich zu drehen. Ich kannte diesen Zustand, auch wenn es selten so heftig gewesen war. Die Versuchung, mich wieder hinzulegen und die Augen zu schließen, war groß, aber ich wider-stand ihr. Ich konnte nicht ewig in diesem Zelt liegen und vor mich hin dösen.
Um der Sache Herr zu werden, fixierte ich einen bestimmten Punkt: mein Kopfkissen. Das war eine erprobte Methode, gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. Erst drehte das Kissen sich, aber dann wurden die Bewegungen langsamer, und irgendwann lag es still vor mir. Ich hatte es geschafft! Mir war noch immer übel, und ich fühlte mich wacklig auf den Beinen, aber wenigstens stand ich wieder aufrecht!
Langsam folgte ich Rabja, die mich nach draußen zog, durch das menschenleere Beduinenzelt. Es gab mehrere abgetrennte Bereiche wie den meinen, wohl zum Schlafen und vermutlich auch, um Männer und Frauen voneinander zu trennen. Ich staunte über die Größe des Zeltes, das es durchaus mit einem kleinen Haus aufnehmen konnte, und nahm an, daß Jussuf der Herr des Ganzen war. Er mußte ein wohlhabender Mann sein, vielleicht der Scheik seines Stammes.
Greller Sonnenschein blendete mich, als wir nach draußen traten. Ich war das Tageslicht nicht mehr ge-wöhnt. Unwillkürlich schloß ich die Augen für einen Moment, doch dann versuchte ich, mir einen Überblick zu verschaffen.
Das Lager befand sich in einem langgestreckten Tal.
Die schroffen Felswände, die es umgaben, bildeten einen natürlichen Schutzwall. Jussufs Zelt schien etwa in der Mitte zu stehen. Von hier aus konnte ich nicht überblicken, wie groß das Lager war. Auf jeden Fall bestand es aus mehreren Dutzend Zelten.
Im Tal mußte es Wasser geben, das schloß ich aus der üppigen Vegetation. Dattelpalmen, Orangen- und Granatapfelbäume spendeten reichlich Schatten, in dem Büsche und Gräser gediehen. An den Rändern des Zeltdorfes weideten Pferde, Kamele, Ziegen und Schafe, beaufsichtigt von halbwüchsigen Jungen.
Ich hatte nicht viel Zeit, mich umzusehen, denn schon zerrte Rabja wieder an meinem Ärmel. Jetzt erst fiel mir auf, wie schmutzig und abgerissen meine Kleidung war.
Rabja zeigte eifrig auf das Dach von Jussufs Zelt und wiederholte mehrmals ein und dasselbe Wort. Ich verstand das Wort nicht, aber ich entdeckte, was sie meinte. Auf dem Dach lag ein aus Stoff- und Fellresten ge-formter Ball. Sie mußte ihn beim Spielen so hoch geworfen haben, daß er ihr aufs Zeltdach gefallen
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