Das Wahre Kreuz
Ridefort reichte ihm eine doppelköpfige Sarazenenstreitaxt. Der Bischof drehte am unteren En-de des Schaftes und löste es vom Rest der Waffe. Der übrige Schaft war hohl. Der Bischof wickelte den Splitter vom Kreuz Jesu wieder in das Tuch, schob das Bündel in den Schaft der Axt und verschloß diesen.
»Wem wollt Ihr das Kreuz anvertrauen, Bischof?«
fragte König Guido.
»Mit Eurem Einverständnis dem Mann, der es schon einmal vor den Ungläubigen bewahrt hat, mein König.«
Der Bischof schaute mich an. »Roland de Giraud, willst du das Wahre Kreuz an dich nehmen und es hüten wie deinen Augapfel?«
»Ich gelobe es.«
Als ich das sagte, klang meine Stimme rauh. Nicht nur wegen des Wassermangels, der Mund und Hals ausdörrte, sondern auch und besonders wegen der Aufgabe, die mir angetragen wurde.
Der Bischof reichte mir die Streitaxt. »Bewahre dies gut, Roland de Giraud, denn vieles mag davon abhängen! Der Patriarch von Jerusalem hat das Kreuz meinem Amtsbruder und mir anvertraut. Der Bischof von Akkon ist bei der Verteidigung des Kreuzes gefallen. Er möge dir und deinen Brüdern ein Beispiel sein!«
Ich nahm die Axt entgegen und wartete darauf, daß irgend etwas geschah, daß eine Veränderung mit mir oder mit der Waffe vorging. Daß vielleicht etwas von dem Wahren Kreuz auf mich übersprang und mich mit einer Ahnung der göttlichen Macht erfüllte, die es verkörperte.
War ich ein Narr, so etwas zu erwarten? Nichts geschah, alles blieb, wie es war.
»Ihr sechs kennt eure Aufgabe«, sagte der Bischof.
»Erfüllt sie nach besten Kräften und vergeßt nie, ihr seid jetzt die Hüter des Kreuzes!«
22. KAPITEL
Der letzte Angriff
it glühenden Augen und einem Stich im Herzen M starrten wir dem abrückenden Heer nach. Jeder, der noch ein Pferd besaß und sich aufrecht im Sattel halten konnte, schloß sich ihm an. Jetzt galt es, Saladins Truppen zurückzuwerfen oder diesen Tag des Blutes und der Leiden endgültig verlorenzugeben. Jeder von uns dachte dasselbe: Wie gern wären wir Seite an Seite mit unseren Brüdern geritten, um unsere Kräfte mit denen der Sarazenen zu messen!
Vor dem königlichen Zelt war das Kreuz aufgestellt, das wir bis vor kurzem noch für das Wahre Kreuz gehalten hatten. Unsere Brüder glaubten das weiterhin, und ein jeder entbot dem Kreuz und dem neben ihm stehenden Bischof von Lydda seinen Gruß. Als ich das sah, legte ich eine Hand auf die Streitaxt, die an meinem Waffengurt befestigt war. Mochte das Kreuz Jesu, das in ihr verborgen war, meinen Waffenbrüdern Glück bringen!
Wir standen im Zelt des Königs und beobachteten durch einen kleinen Spalt am Eingang, was draußen vor sich ging. Trupp um Trupp ritt an uns vorbei. Der von den Pferden aufgewirbelte Staub hüllte das Lager ein, und das vielhundertfache Hufgetrappel vereinigte sich mit dem Klang der Hörner zu einer kriegerischen Melodie. Als die Kavalkade an uns vorübergezogen war, bestiegen auch wir unsere Pferde. Es waren allesamt Tiere, die wir von den Sarazenen erbeutet hatten, und ich ritt weiterhin meinen Falben.
Die wenigen Wachen, die im Lager zurückgeblieben waren, beäugten uns mißtrauisch. Sie wußten, daß wir zu ihnen gehörten und eine geheime Mission zu erfüllen hatten, und doch waren wir ihnen in unserer Verkleidung nicht ganz geheuer. Die verhaßten Sarazenen so offen in ihrem Lager herumspazieren zu sehen war etwas, woran sie sich nur schwer gewöhnen konnten.
Was hätten sie wohl gedacht, hätten sie unseren Auftrag gekannt?
Sobald wir aufgesessen waren, schlug der Bischof vor uns das Kreuz. »Gottes Segen mit euch, Brüder!«
Der aufgewirbelte Staub ließ uns husten, als wir unserer Streitmacht in einigem Abstand folgten. Was hätte ich für einen Schluck Wasser gegeben!
Gilbert lachte laut auf. »Vor ein paar Stunden sind wir noch gegen die Ungläubigen geritten, jetzt reiten wir als Ungläubige! Dieser Tag steckt voller Überraschungen.«
Ich sah zum nördlichen Hügel hinüber. Dort hatten unsere Fußtruppen inzwischen jeden Widerstand einge-stellt. Die Märkte würden demnächst ein Überangebot an christlichen Sklaven zu verzeichnen haben.
Die einzigen, die das Heilige Land noch verteidigen konnten, waren die Ritter hier auf dem südlichen Horn von Hattin, und die zogen gerade in eine Schlacht, die ihre letzte werden konnte.
An einer Felskanzel, die einen guten Ausblick auf das Schlachtfeld bot, stiegen wir ab, um das Kampfgesche-hen zu beobachten. Es war verabredet, daß wir unseren
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