Das Wahre Kreuz
Versuch, die Reihen zu durchbrechen, erst in der größ-
ten Hitze des Gefechts wagen sollten, wenn die Aufmerksamkeit aller – also auch die der Sarazenen – am stärksten beansprucht war.
Am Fuße unseres Hügels sammelten die Ungläubigen, die längst auf den nahenden Feind aufmerksam geworden waren, ihre Truppen. Der kaum noch über-raschende Pfeilhagel prasselte auf unsere Ritter herab und lichtete ihre Reihen. Zum Zusehen verbannt, jubelten wir auf, als unsere Angriffsspitze sich in die vorderste Reihe von Saladins Kavallerie bohrte, mit solcher Wucht, daß die Sarazenen zurückgedrängt wurden.
Weitere Ritter rückten nach, und die Lücke in der Front der Ungläubigen vergrößerte sich.
»Diesmal schaffen sie es!« rief erregt der Johanniter, der schon im Zelt des Königs mehrmals das Wort ergriffen hatte. Er war Deutscher, Ludwig von Kirchheim, ein nicht sehr großer, aber breitschultriger Mann.
Als wir die fremden Kleider anlegten, hatte er einige Mühe gehabt, sein blondes Lockenhaar unter einem Turban zu verbergen. Seine Freude schien berechtigt.
Immer weiter wichen die Sarazenen zurück, und ich fragte mich schon, ob es nicht überflüssige Vorsicht gewesen war, uns mit dem Wahren Kreuz fortzuschik-ken.
»Da ist Saladin!« stieß Udaut plötzlich hervor. »Ich erkenne seine Fahne. Bei der Jungfrau Maria, nicht mehr lange und der Sultan ist in der Gewalt der Unsrigen!«
Doch in diesem Augenblick strömten neue Reiter-horden heran und warfen sich in unsere Flanken.
Konnte es wirklich sein, daß Saladin selbst sich als Lockvogel hergab? Wenn es so war, ging sein Plan auf.
König Guidos Angriffsspitze, beflügelt von der Aussicht, Saladin gefangenzunehmen, hatte sich gefährlich weit vorgewagt. Jetzt, da seine Flanken bedroht waren, ließ Guido seine Reiter kehrtmachen. Das dabei entstehende Durcheinander kostete vielen guten Christen das Leben. Auch wenn der Kampf noch andauerte, meinte ich den Ausgang zu kennen: Der Sieg gehörte den Sarazenen.
»Zeit zum Aufbruch«, sagte ich bitter. »Ich fürchte, der Höhepunkt der Schlacht ist erreicht.«
»Wenn nicht gar überschritten«, erwiderte Gilbert, als er sich aufs Pferd schwang. »Bringen wir das Wahre Kreuz in Sicherheit!«
Anfangs folgten wir dem Weg ins Tal, den unsere Hauptstreitmacht genommen hatte, aber nach ungefähr der halben Strecke bogen wir nach links auf einen Sei-tenpfad ab, von dem wir hofften, er möge uns ungesehen an den feindlichen Posten vorbeibringen. Dann aber hörten wir von jenseits einer Biegung fremde Stimmen und Pferde. Wir hielten an und griffen nach unseren Waffen. Ich zögerte, als meine Hand über den Schaft der Streitaxt glitt, und zog statt ihrer das Sarazenenschwert, das an meiner Seite hing. An die zwölf Reiter kamen um die Biegung und sahen uns verblüfft an.
»Zu den Waffen!« schrie ihr Anführer und griff nach seinem Schwert. »Es sind Sarazenen!«
Wir sahen uns doch wahrhaftig christlichen Rittern gegenüber. Sie trugen die Farben de Châttillons und waren wohl von der Schlacht Versprengte.
»Halt, wartet!« rief ich ihnen entgegen. »Wir sind ehrliche Christen und gehören zu euch!«
Der Anführer, der gerade seinen Rappen antreiben wollte, zögerte. »Christen? Ihr sprecht zwar wie Christen, aber ihr seht nicht so aus. Wenn ihr Christen seid, warum kleidet ihr euch dann wie die ungläubigen Teufel?«
»Wir sind in besonderer Mission unterwegs«, erklär-te ich. »Habt ihr nicht davon gehört? Wenigstens das Losungswort solltet ihr kennen!«
Der Anführer ließ spielerisch sein Schwert durch die Luft fahren und grinste. »Wir kennen das Losungswort.
Die Frage ist, ob ihr es kennt!«
Ich sprach laut genug, daß alles es hören konnten:
»Der Leib Christi!«
Der Anführer des Trupps nickte und gab seinen Männern ein Zeichen. De Châtillons Reiter bildeten eine Gasse, um uns durchzulassen.
Als ich den Anführer erreichte, packte er meine Zü-
gel und hielt meinen Falben fest. Sein Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet, doch aus seiner Stimme glaubte ich einen letzten Rest Hoffnung herauszuhören.
»Welcher Art ist eure Mission? Holt ihr Hilfe für uns herbei?«
»Unsere Mission ist geheim.«
»Wollt ihr uns gar keine Hoffnung machen?«
Ich sah ihn lange an und suchte nach den richtigen Worten. Ihn anzulügen wäre leicht gewesen und erschien mir doch unfaßbar schwer. Sollte ich ihn und seine Gefährten die vielleicht letzten Stunden ihres Lebens mit einer Lüge verbringen lassen?
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