Das Wahre Kreuz
bringt sie –
zusammen mit sinkendem Mut und unerträglichem Durst – dazu zu tun, was sie tun. Bedenke das, Gilbert, bevor du über sie urteilst!«
Er seufzte schwer. »Du hast recht, Bruder, wir sind die Ritter, nicht sie. An uns ist es, bis zum letzten Atemzug für unseren Herrn im Himmel zu streiten und unser Leben für ihn zu geben. Und wie es jetzt aussieht, wird es noch heute genau dazu kommen.«
Ein berittener Bote des Großmeisters zügelte vor uns sein Pferd und rief: »Gilbert d’Alamar, Udaut d’Alamar, Ronald de Giraud, der Großmeister erwartet euch im Zelt des Königs!«
»Was will er von uns?« fragte Udaut.
»Das hat er mir nicht gesagt. Nur, daß es wichtig ist.
Ihr mögt euch beeilen!«
Wir ritten zum neu errichteten Zeltlager, in dessen Mitte rot das königliche Zelt leuchtete. Als wir von den Pferden stiegen, stutzte ich für einen Augenblick.
Gilbert hatte es bemerkt. »Was ist mit dir, Roland?«
»Wo ist das Wahre Kreuz? Sollte es nicht als Zeichen der Zuversicht in Gottes Gnade neben dem Zelt stehen?«
»Vielleicht vertrauen selbst König Guido und der Bischof von Lydda nicht mehr darauf, daß dieser Kampf noch zu gewinnen ist«, knurrte Gilbert. »Hoffen wir, daß sie uns nicht auffordern, uns für einen Schluck Wasser den Sarazenen zu ergeben!«
Im Zelt empfingen uns der König, der Bischof von Lydda, Renaud de Châtillon, unser Großmeister und der Meister des Johanniterordens. Außerdem waren jene drei Johanniter zugegen, die so tapfer an unserer Seite gefochten hatten. Auf einem großen Tisch lag zu meiner Verwunderung das Wahre Kreuz, das ich drau-
ßen vermißt hatte.
Der König empfing uns mit einem kurzen Gruß und fragte: »Habt ihr gesehen, was auf dem nördlichen Hü-
gel vor sich geht?« Als wir bejahten, fuhr er fort:
»Nach diesem Verrat besteht so gut wie keine Aussicht mehr auf einen Sieg. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen, damit, daß wir alle unter den Schwertern der Ungläubigen fallen oder von ihnen versklavt werden.
Die Schlacht stand unter einem unglücklichen Stern.«
Udaut ergriff das Wort: »Wir sollten hier nicht warten, bis die Sarazenen auch uns angreifen, Herr. Noch ist Leben und Kampfesmut in uns. Laßt uns einen Ausfall wagen mit allen Männern, die uns noch verblieben sind! Nichts fürchten die Sarazenen so sehr wie unsere Reiterangriffe!«
Der König trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nichts anderes habe ich von meinen Rittern erwartet, und die sechs tapfersten stehen hier vor mir. Ohne euch wäre das Wahre Kreuz wohl schon in die Hände der Ungläubigen gefallen. Aber das darf nicht geschehen, niemals! Solange wir das Kreuz haben, dürfen wir hoffen, den Feind zu besiegen. Wenn nicht heute, dann an einem anderen Tag, an einem anderen Ort.«
»Wir werden ihn besiegen, heute schon!« rief Udaut, durch Guidos Worte entflammt. »Nur ein Zeichen von Euch, Herr, und wir stürzen uns in die Schlacht!«
»Das weiß ich, und es erfüllt mich mit Stolz. Wir werden versuchen, die feindlichen Reihen zu durchbrechen, um uns nach Tiberias durchzuschlagen. Aber auch wenn unser Wille stark ist und unser Mut groß, dürfen wir nicht blind sein dafür, daß wir keine großen Aussichten auf einen Sieg haben. Wir müssen damit rechnen, daß wir scheitern. Aus diesem Grund werdet ihr sechs, drei Templer und drei Johanniter, nicht mit in die Schlacht ziehen.«
Wir sechs sahen erst den König und anschließend einander verwirrt an. Guidos Worte hatten wir wohl verstanden, aber der Sinn hinter ihnen erschloß sich uns nicht. Der Bischof von Lydda bemerkte unsere Verwirrung und sagte: »Meine tapferen Brüder, ihr seid für eine besondere Aufgabe auserwählt. Eine, die wichtiger ist als die Schlacht gegen Saladin und vielleicht auch gefährlicher. Ihr seid zu Hütern des Kreuzes bestimmt!«
»Wir sollen das Kreuz Jesu bewachen?« fragte Udaut mit Blick auf den Tisch und das Wahre Kreuz. »Das ist gewiß eine ehrenvolle Aufgabe, aber wäre unsere Kampfkraft beim Angriff gegen die Sarazenen nicht besser eingesetzt?«
Nun richtete unser Großmeister das Wort an uns:
»Ihr sollt das Kreuz nicht einfach nur bewachen, Brü-
der. Ihr sollt es von hier fortbringen, in Sicherheit, für den Fall, daß wir Saladin unterliegen. Und wenn Gefahr droht, müßt ihr es, wie heute schon einmal, mit eurem Leben verteidigen.«
»Wohin sollen wir es bringen?« fragte ich.
»Zumindest bis zur Zitadelle von Tiberias«, sagte König Guido. »Aber
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