Das Wahre Kreuz
Beduinen sich so stark mit dem christlichen Glauben befaßt, daß sie ihm insgeheim mehr zuneigten, als es mit der Lehre des Korans und ihres Propheten Mohammed vereinbar war?
»Wo ist das Wahre Kreuz jetzt?« fragte ich schließ-
lich.
»Sei mir nicht gram, Musâfir, aber was du nicht weißt, kannst du auch nicht verraten.«
»Ich habe nicht vor, euch und das Wahre Kreuz zu verraten.«
»Es könnte aus Unachtsamkeit geschehen oder unter der Folter.«
»Wer sollte mich foltern?«
»Denk an die Ritter, die dich und deine Gefährten im Sandsturm angegriffen haben! Das war gewiß kein Zufall. Sie müssen, vielleicht durch Spione in Kairo, von deiner Verbindung zu Ourida wissen. Ich denke, sie wollten über dich an meine Nichte herankommen.«
»Ich hatte eher den Eindruck, daß sie mich töten wollten.«
»Auch das ist möglich. Vielleicht wollten sie sich dafür rächen, daß du ihnen Ourida entrissen hast.
Vielleicht haben sie sich auch nur im Eifer des Gefechts hinreißen lassen.«
Kaum hatte Jussuf die Ritter erwähnt, fühlte ich, wie trotz des wärmenden Feuers etwas kalt über meinen Leib kroch. War es ein Wunder nach dem, was ich im Sandsturm und was Roland de Giraud vor sechshundert Jahren mit ihnen erlebt hatte?
»Daß es sie noch immer gibt!« sagte ich. »Nach so langer Zeit!«
Der Scheik breitete die Arme aus, als wollte er sein ganzes Lager umfassen. »Auch uns gibt es noch immer.«
»Aber die Ritter vom Verlorenen Kreuz kleiden sich noch genauso wie damals, wie im Mittelalter, und sie kämpfen mit den gleichen Waffen.«
»Die Abnaa Al Salieb doch auch. Bedenke, was ich dir über Feuerwaffen in der Wüste gesagt habe.«
»Wo haben die Ritter ihren Stützpunkt?«
»Leider wissen wir das nicht, sonst hätten wir eine Möglichkeit gefunden, sie vom Erdboden zu vertilgen!
Sie sind eine Plage wie der Chamsin, der immer wie-derkehrt und sich durch nichts in die Flucht schlagen läßt. Und wenn man nicht vorbereitet ist, bringen sie wie er den Tod. Du hast es erst vor wenigen Tagen erlebt, hast es überlebt. Meine Brüder und Schwestern in der Zuflucht hatten nicht soviel Glück, mit Ausnahme von Ourida und Rabja.«
Bei dem Gedanken an das Blutbad, das die Ritter vom Verlorenen Kreuz in dem »Zuflucht« genannten Wüstentempel angerichtet hatten, verstand ich den Haß, der in Jussufs Ton mitschwang, nur zu gut. Und ich fühlte selbst Zorn in mir hochsteigen.
Als ich den Scheik anschaute, seine grimmige Haltung und Miene sah, schien es mir unvorstellbar, daß er jemals einem Ritter vom Verlorenen Kreuz gegenüber Gnade walten lassen würde, gleich, unter welchen Um-ständen. War dies derselbe Haß, der Saladin nach der Schlacht von Hattin dazu getrieben hatte, alle gefangenen Ordensritter zu töten? Eine weitere Frage drängte sich mir auf: »Woher wissen die Ritter, daß die Abnaa Al Salieb die Hüter des Kreuzes sind?«
»Ich weiß nicht, wie sie es herausgefunden haben.
Durch Spione oder durch Verräter. Sie haben es ja auch geschafft, Roland und Ourida in dem kleinen Fischerdorf aufzuspüren. Seit jener Nacht hatten Ourida und ihre Leute lange Ruhe vor Gilbert d’Alamar und seinem geheimen Orden. Ourida konnte zusehen, wie ihre Tochter heranwuchs. Aber dann kamen sie doch, eines Nachts, nach fünfzehn Jahren. Wie böse Geister der Nacht sind sie über das Lager der Abnaa Al Salieb hergefallen, und ein wütender Kampf entbrannte. Ourida und Gilbert haben ihn beide mit dem Leben bezahlt.
Ein Teil der Wüstensöhne konnte entkommen. Sie nahmen das Wahre Kreuz mit sich – und Ouridas Tochter, die ebenfalls Ourida hieß. Sie wurde die neue Hameyat Al Salieb!«
»Die Hüterin des Kreuzes?«
»Ja, Musâfir. Es scheint Allâhs Wille zu sein, daß diese Würde von der Mutter auf die Tochter übergeht.
Denn auch das erste Kind von Ouridas Tochter war ein Mädchen und erhielt den Namen Ourida. Das hat sich fortgesetzt bis in unsere Tage.«
»Dann ist die bislang letzte in der langen Kette jene Ourida, die wir im Wüstentempel gerettet haben«, fol-gerte ich. »Hat sie dort das Wahre Kreuz bewacht?«
»Ja.«
»Aber die Ritter haben es nicht gefunden.«
»Nein.«
»Warum wollten sie Ourida dann töten? Tot hätte sie ihnen nichts mehr sagen können.«
Jussuf sah mich verständnislos an. »Frag das unsere Feinde, falls du sie triffst; aber ich wünsche es dir nicht.
Ich kann mir ihr Handeln nur so erklären, daß sie sich von jahrhundertealtem Zorn haben leiten lassen. Auch das Gemetzel,
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