Das Wahre Kreuz
das sie in der Zuflucht angerichtet haben, deutet darauf hin.«
»Woher weißt du, daß die Ritter das Wahre Kreuz nicht gefunden haben?«
»Von Ourida. Ich habe dir doch gesagt, daß wir auch ohne Worte miteinander in Verbindung bleiben können.«
»Aber wie geht es ihr jetzt?«
»Das kann ich nicht sagen, dazu ist sie zu weit weg.
Als sie im Geiste mit mir sprach, habe ich mich in der Nähe von Kairo aufgehalten.«
»Dann muß das Kreuz noch im Tempel sein«, sagte ich und sah ihn forschend an. »Es sei denn, du hast es inzwischen woanders versteckt.«
»Viele Fragen kann ich dir an diesem Abend beantworten, Musâfir, aber diese gehört nicht dazu.«
»Warum nicht? Weil du das Versteck nicht verraten willst? Ist es die zugemauerte Bibliothek?«
Jussuf legte die Stirn in Falten. »Wovon sprichst du?«
Ich lachte laut auf. »Mach mir nichts vor, Jussuf! Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, daß du die Bibliothek nicht kennst! Die Bücher darin sind in einer seltsamen Schrift gehalten, Arabisch wohl, aber schwer zu entziffern.«
»Ich weiß nichts von einer Bibliothek«, sagte der Scheik ruhig.
»Wie soll ich das glauben? Der Raum befindet sich in eurer Zuflucht!«
»Wir haben die Anlage nicht erbaut. Es gab sie schon viele Jahrhunderte vor der Schlacht von Hattin.«
Das deckte sich immerhin mit dem, was Onkel Jean mir erzählt hatte, dennoch war ich nicht geneigt, das Feld so schnell zu räumen.
Ich erzählte, wie wir die Bibliothek entdeckt hatten.
»Die Bücher dort sehen nicht so aus, als hätten die Erbauer des Tempels sie hingestellt. Ich nehme an, daß der Raum erst später als Bibliothek eingerichtet und dann zugemauert worden ist. Warum?«
»Frag das die, die dafür verantwortlich sind! Die Abnaa Al Salieb haben diesen Ort erst vor weniger als hundert Jahren entdeckt. Nach den Erbauern müssen andere ihn für ihre Zwecke genutzt haben. Vielleicht haben während der Kreuzzüge unsere Glaubensbrüder dort wertvolle Bücher vor den Christen versteckt. Die Christen hätten sie sonst geraubt oder einfach verbrannt.«
»Mag sein«, sagte ich und spürte plötzlich eine gro-
ße Müdigkeit. »Es gibt so viele Fragen, und jede Antwort scheint neue aufzuwerfen.«
»Wissen ist wie heißer Kaffee«, sagte Jussuf und griff abermals zu der Kanne, um den restlichen Inhalt zwischen uns aufzuteilen. »Man kann nie genug davon kriegen.«
Ich trank einen Schluck und fragte: »Wieso war Ourida mit den anderen in der Zuflucht? Wäre das Wahre Kreuz hier im Lager nicht besser aufgehoben gewesen?«
»Die Hüterin des Kreuzes sucht die Zuflucht nur in Zeiten der Gefahr auf, immer in Begleitung einiger Männer, Frauen und Kinder unseres Stammes. Damit wir fortbestehen, falls den anderen etwas zustößt. Als wir vom Sultan des Feuers und seinem großen Feldzug hörten und befürchten mußten, daß der Krieg auch in dieses Tal getragen würde, haben wir beschlossen, Ourida und einige Ausgewählte in die Zuflucht zu schik-ken. Daß gerade dort das Verhängnis über sie kommen würde, konnte niemand ahnen. Hätte Rabjas Vater nicht Verrat geübt, wären sie dort sicher gewesen.«
Nachdem wir die Becher geleert hatten, fügte er hinzu:
»Weil es immer noch so viele Fragen und Antworten gibt, sollten wir unsere Unterhaltung morgen fortsetzen, Musâfir. Du bist müde, und ich bin es auch. Die Feuer sind niedergebrannt, die Kälte der Nacht erfüllt das Tal, und die Abnaa Al Salieb ziehen sich in ihre Zelte zurück. Morgen, wenn der Geist wieder frisch ist, lassen sich Fragen klarer stellen und Antworten leichter verstehen!«
Ich stimmte ihm zu, auch wenn ich es bedauerte, bis zum nächsten Tag warten zu müssen. So viel ging mir durch den Kopf! Wovon lebten die Ritter vom Verlorenen Kreuz? Wie hatten sie sich so lange halten können?
Und was hatte ich mit jenem Roland zu tun, dessen Leben mir erschienen war wie mein eigenes?
TEIL III
29. KAPITEL
Tödlicher Donner
onner riß mich aus dem Schlaf, so laut, daß ich D mich mit einem Ruck aufsetzte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich meine Umgebung erkannte.
Ich befand mich in Jussufs Zelt, hinter dem Vorhang, und erinnerte mich, wie ich mich nach dem langen Gespräch mit dem Scheik müde und aufgewühlt zugleich hingelegt hatte. Lange hatte ich mich hin und her gewälzt und über das nachgedacht, was ich von Jussuf erfahren hatte. Vielleicht hatte auch der über-reichlich genossene Kaffee mich trotz meiner Erschöpfung so lange wach gehalten. Am Ende
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