Das Wahre Kreuz
Kü-
che? Nein, wir gingen in europäische Gaststuben, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Beeindruckt von dem Elan, mit dem wir ihre Stadt eingenommen und umgestaltet hatten, waren viele der Menschen dort bereit gewesen, sich auf unsere Sitten einzustellen. Wanderte man durch Kairos Straßen, konnte man sich –
sofern man von der morgenländischen Architektur ab-sah – fühlen wie auf einer Pariser Flaniermeile.
Trotz der bedauerlichen Umstände, die mich ins Tal der Abnaa Al Salieb geführt hatten, war ich an diesem Abend dankbar dafür, am Leben der Beduinen teilha-ben zu dürfen. Hier lernte ich ihr Wesen, ihre Gebräuche und ihre Art zu denken hundertmal besser kennen als auf jeder wissenschaftlichen Expedition.
Wir setzten uns an eins der Feuer, wo man den Scheik ehrerbietig begrüßte und auch mich freundlich willkommen hieß. Ein Mughani, ein Sänger, entlockte seiner zweisaitigen Rebab eine einfache, aber äußerst eingängige Melodie und sang dazu von langen Wande-rungen durch die Wüste, von Durst und Entbehrungen, aber auch von dem Glück des freien, ungebundenen Beduinenlebens. Als er geendet hatte, spendeten die anderen ihm Beifall.
Frauen kamen und brachten uns Teller mit den braunen Bohnen, die hierzulande gern und häufig gegessen wurden, mit Hammelfleisch und frischem Brot.
Zu trinken gab es klares Wasser. Anders als in Kairo, wo so mancher Muslim es mit den Geboten seines Propheten nicht allzu genau nahm, hatte ich bei den Abnaa Al Salieb noch keinen Mann Wein trinken sehen.
Als ich Jussuf gegenüber eine entsprechende Bemerkung machte, fragte er: »Weißt du, warum der Prophet den Wein als Schändlichkeit Satans gebrandmarkt und seinen Genuß mit der Strafe der Auspeitschung bedroht hat?«
Ich verneinte, und Jussuf erzählte: »Eines Tages wurde Mohammed in das Haus eines Freundes eingeladen, wo man ein großes Hochzeitsfest feierte. Die Menschen waren fröhlich und ausgelassen, sangen und tanz-ten in großer Harmonie. Der Prophet meinte, diese heitere Eintracht verdanke sich der befreienden Wirkung des Weins, den die Gäste reichlich genossen. Also segnete er, bevor er das Fest verließ, den Wein, weil dieser die Zuneigung zwischen den Menschen stärke. Am nächsten Tag aber kehrte er in das Haus zurück und sah überall Blut und sogar abgetrennte Glieder. Er erfuhr von einem Streit, der zwischen den vom Wein be-rauschten Gästen ausgebrochen war und zu einem Kampf geführt hatte. Mohammed änderte seine Ansicht, nahm seinen Segen zurück und verfluchte den Wein, dessen Genuß seinen Anhängern fortan verboten war.«
»Mit dem Wein ist es wie mit den meisten Dingen«, sagte ich. »In Maßen genossen tut er gut und kann dem, der ihn trinkt, sogar förderlich sein. Erst das Übermaß macht ihn heimtückisch und gefährlich.«
»Der Prophet wird das gewußt haben, Musâfir, denn er war ein kluger Mann. Aber die Menschen neigen nun einmal zum Übermaß. Das hat er an jenem Morgen erkannt, und deshalb hat er den Wein verboten.«
»Wahrscheinlich hat er gut daran getan«, lenkte ich ein und hatte die schaurigen Bilder betrunkener Bauern und anderen Gesindels vor Augen, das wie ein Schwarm Heuschrecken über das Kloster St. Jacques hergefallen war, schon vor dem Tag der Räumung.
Selten hatte ich Onkel Jean so verbittert gesehen wie damals, als die kostbaren Bände der Klosterbibliothek und die wertvollen Schnitzereien der Kirche in Flammen aufgingen. Sein Gesicht war eine steinerne Maske gewesen, aber in seinen Augen hatten Abscheu und Zorn gefunkelt.
Nachdem wir süße Teigröllchen und nicht minder süßen Kaffee genossen hatten, stand Jussuf auf, bedankte sich bei seinen Stammesbrüdern für die Gast-freundschaft und bat mich, ihn zu begleiten. Wir gingen an anderen Zelten und Feuern vorbei, wo Männer zusammensaßen, aßen, Wasserpfeife rauchten, dem Gesang eines Mughani lauschten und einander Geschichten erzählten. Überall grüßte man Jussuf, und er grüßte höflich zurück.
»Die Abnaa Al Salieb brauchen keinen Wein«, sagte ich. »Ihre Heiterkeit kommt aus dem Herzen.«
Jussuf blieb stehen, legte die Hände auf meine Schultern und sah mich an. »Das hast du gut gesagt, Musâfir. Vor wenigen Tagen erst bist du als Fremder zu uns gekommen, jetzt bist du schon ein Freund, nicht nur für Rabja.«
»Ich habe das Gefühl, die Abnaa Al Salieb schon seit Ewigkeiten zu kennen.«
»Gefühle sind die Boten des Herzens, und das lügt nie.«
Er führte mich zu einem kleinen Feuer am
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