Das Wahre Kreuz
hatte ich doch geschlafen, tief und fest sogar.
Was war das für ein Lärm, der mich geweckt hatte?
Nur ein Hauch von Helligkeit drang durch die Zelt-wände. Es mußte noch früh am Morgen sein.
Wieder ertönte lauter Donner, mehrfach kurz hinter-einander. Wo kam ein solches Unwetter her? Gewitter-stürme kannte ich aus Frankreich, aber in Ägypten hatte ich noch keinen erlebt. Vielleicht zog ein Gewitter hier ebenso unerwartet auf wie der Sandsturm, der Leutnant Dumonts Husaren und mich auf unserem Ritt nach Kairo überfallen hatte. Der Gedanke an den Chamsin erfüllte mich mit einer eigenartigen, ungewissen Furcht. Mit dem Sandsturm waren die Ritter vom Verlorenen Kreuz über uns gekommen. War auch dieses Gewitter nur der Vorbote von etwas viel Gefährli-cherem?
Schreie drangen an meine Ohren, undeutlich, und doch erfaßte ich die Panik darin. Die Furcht, das unerklärliche Gefühl, daß eine große Gefahr über das Tal der Abnaa Al Salieb hereingebrochen war, ergriff ganz und gar von mir Besitz. Ich sprang auf und wollte nach draußen laufen, um zu sehen, was dort vor sich ging.
Da erbebte der Boden unter meinen Füßen, so heftig, daß ich den Halt verlor und durch die Luft gewirbelt wurde. Ich fiel mit der linken Seite auf etwas Hartes und spürte einen stechenden Schmerz. Sand geriet mir in Augen, Nase und Mund. Ich hustete und spuckte, während Donnerschlag auf Donnerschlag über das Tal rollte. Da waren Stimmen, die einander übertönten: Schreie, Befehle, Schmerzenslaute. Aber mit all dem Sand in den Augen konnte ich nichts sehen. Ich rieb mir die Augen, auch wenn es schmerzte und brannte; Trä-
nen rannen mir über die Wangen, aber endlich lüfteten sich die Schleier. Was ich sah, war das, was ich hörte: ein einziges Chaos!
Scheik Jussufs großes Zelt, in dem ich eben noch gelegen hatte, stand nicht mehr. Es war nichts davon übrig als ein paar große Wollfetzen, die traurig an einigen Zeltstangen hingen. Ich lag in einer Kuhle unter freiem Himmel, unter mir ein Kochkessel, auf den ich gefallen war.
Verängstigte Beduinen irrten umher und suchten ihre Angehörigen. Viele waren, wie ich, aus dem Schlaf gerissen worden und nur unzureichend bekleidet, etliche waren verletzt. Eine Frau mit blutverschmiertem Gesicht wankte an mir vorüber. Die Wunde an ihrer Stirn schien sie nicht zu kümmern. Ihr Blick glitt suchend über das Lager, und immer wieder rief sie verzweifelt mehrere Namen, wohl die ihrer Kinder.
Wieder ertönte der unheimliche Donner, und jetzt sah ich auch die dazugehörigen Blitze: feurige Zungen, die über eine der schroffen Felswände leckten.
Jetzt wußte ich, was das für ein Donner war und weshalb er mir – ganz zu Recht – solche Furcht eingeflößt hatte. Ähnliches hatte ich gehört, als Bonapartes Artillerie in der Schlacht bei den Pyramiden ihre mächtige Stimme erhoben hatte.
Dort in den zerklüfteten Felsen, die den Beduinen Schutz vor Feinden hatten gewähren sollen, standen Kanonen, die Salve um Salve ins Tal schossen. Kugeln klatschten in den Boden und jagten Sandfontänen in die Luft. Granaten explodierten mit ohrenbetäubendem Krachen. Kartätschen zerplatzten ringsum und ver-spritzten ihre todbringende Ladung aus Blei- und Eisen-stücken.
Hatten die Abnaa Al Salieb mit der Verlegung ihres Lagers zu lange gewartet? Offenbar, denn die Ritter vom Verlorenen Kreuz schienen sie aufgespürt zu haben. Aber wieso benutzten die plötzlich moderne Artillerie statt Schwert und Streitaxt? Und woher hatten sie die Kanonen?
Mein Blick fiel wieder auf die blutende Frau, die eins ihrer Kinder gefunden hatte, vor ihm auf die Knie fiel und es glücklich an sich drückte. Eine Granate pfiff heran, und mein Warnruf ging im Lärm der Kanonade unter. Ich warf mich zurück auf den Boden, drückte das Gesicht in den Dreck und bedeckte meinen Kopf mit beiden Armen. Die nahe Explosion wollte meine Ohren zerreißen. Als ich aufblickte, waren Mutter und Kind nur noch zerfetztes Fleisch. Während ich mich noch übergab, dachte ich an ein anderes Kind, nach dem keine Mutter suchen würde. Ich spuckte, fuhr mit dem Handrücken über meinen Mund und schrie:
»Raaabjaaa!« Mein suchender Blick glitt über die kläglichen Reste von Jussufs Zelt, doch ich sah weder den Scheik noch die alte Muna, noch Rabja.
Als ich mich aufrappelte, merkte ich, daß meine Beine zitterten. Roland de Giraud war ein Krieger gewesen, ein Soldat. Ich war es nicht. Als Dumonts Husaren und ich von den Rittern
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