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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Tür? Als ob Dante sich das nicht überlegt hätte. Er saß schon an einem Tisch am Fenster. Vor dem zweiten Gedeck stand kein Stuhl. Sie rollte zu dem leeren Platz. Er schaute sie nur an mit seinem blauen Blick und sagte: «Ich bin schon da. Ich konnte … einfach nicht warten.»
    Â«Ja, mein nächster Termin bei Fankhauser wäre erst in einem Monat», antwortete sie leichthin.
    Â«Ich weiß. Ich wollte Frau Furrer bestechen, damit ich den Termin vor deinem bekomme. Aber sie wollte ihn mir nicht geben. Einen Monat hätte ich auch nicht warten können.» Jetzt wurde er rot. «Scheißtumor», murmelte er. «Macht mir meine … ganzen Strategien kaputt.»
    Â«Strategien?» Nevada verstand nicht. Es war zu lange her. Sie wusste nicht mehr, wie der Tanz ging, wie man sich abweisend stellte, um Verlangen zu wecken, wie man nein sagte, um ja zu hören. «Frau Furrer mag mich nicht», sagte sie.
    Erleichtert ging Dante auf die Ablenkung ein: «Das habe ich gemerkt. Was hast du … ihr getan? Mich liebt sie.»
    Nevada lachte. «Bilde dir nicht zu viel darauf ein. Meine Schwester hatte mal was mit Fankhauser.»
    Â«Du hast eine … Schwester?»
    Â«Ja, sie ist ganz anders als ich, du würdest es verstehen, wenn du sie siehst. Sie glaubt nicht an die Liebe.»
    Â«Und du?»
    Nevada schwieg.
    Â«Entschuldige», sagte Dante wieder. «Verstehst du, es drückt mir auf das … Parabellum. Mal fallen mir die richtigen … Worte nicht ein, und lügen … kann ich auch nicht mehr.»
    Â«Was heißt nicht mehr?», fragte Nevada. «Hast du denn früher oft gelogen?»
    Â«Oft, was heißt oft? In … Situationen wie dieser garantiert.»
    Â«Und warst du oft in Situationen wie dieser?» Es war wie Schwimmen. Kaum hatte sie den sicheren Boden unter den Füßen verloren, bewegten sich ihre Arme und Beine wie von allein.
    Â«Du würdest dich … wundern», sagte Dante ein wenig trotzig. «Ich hatte schönes … Haar. Die Mädchen mögen so was … Frauen», korrigierte er sich. «Ich meine Frauen.»
    Einen Moment lang schwiegen beide. Dann kam eine Kellnerin und fragte Nevada sehr laut und langsam, ob sie etwas trinken wolle.
    Nevada bestellte ein Glas Wein.
    Â«Wein?», fragte die Kellnerin.
    Â«Ja, Wein. Keine Sorge, nach einem Glas kann ich noch fahren.»
    Die Kellnerin entfernte sich mit einem verletzten Blick. Sie hatte es doch nur gut gemeint.
    Dante lachte. «Siehst du … das kann ich …. nicht mehr. So schlag … fertig … war ich auch mal.»
    Â«Ist das jetzt immer so?», fragte Nevada. «Halten mich die Leute für behindert, nur weil ich im Rollstuhl sitze?»
    Â«Du bist … behindert.»
    Â«Vielen Dank. Das hätte ich beinahe vergessen.»
    Â«Zum Wohl.» Die Kellnerin stellte ein Glas vor Nevada hin, das sehr wenig Weißwein enthielt. Vielleicht war es auch nur ein sehr großes Glas. Nevada trank selten.
    Â«Habt ihr Fragen zum Menü?» Die Kellnerin schaute Dante zärtlich an. Er schien diese Wirkung auf Frauen zu haben. Mit seinem blauen Blick, mit seinen unbeholfenen Worten.
    Â«Ich glaube, wir kommen zurecht», sagte Nevada scharf. «Lesen können wir ja.»
    Was tue ich da nur?, dachte Nevada. Wenn Dante lächelte, bildeten sich Falten um seine Augen. Vielleicht war er nicht so jung, wie sie dachte.
    Â«Ich … möchte … den Fisch … tag … Tagesfisch», sagte er.
    Die Kellnerin nahm die Speisekarten. Sie fragte Nevada nicht, was sie wollte. Es war Dante, der fragte: «Und du?»
    Â«Ich auch. Dasselbe.» Sie hatte die Karte nicht angeschaut. Sie hatte keinen Hunger. Dafür war ihr Glas schon fast leer. «Und noch einen Weißwein.»
    Die Kellnerin entfernte sich mit einem sehr geraden Rücken. Als stecke ein Brett unter ihrer Bluse. Ihre Ablehnung drückte sich in ihren langgezogenen Schulterblättern aus. Nevada hasste sie einen Moment lang glühend. Sie selber hatte die Körpersprache verloren. Genau wie Dante die Fähigkeit zu lügen.
    Dante schaute auch der Kellnerin hinterher. Sein Blick war erleichtert. «Endlich», sagte er. «Endlich allein.»
    Nevada sah sich im Lokal um, es war bis auf den letzten Platz besetzt. Es war Freitagabend. Das Wochenende hatte gerade begonnen. Ab und zu streiften irritierte Blicke ihren Rollstuhl. Dantes bleiche Glatze.

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