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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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zurück.
    Â«Alle Männer lügen», sagte Mona.
    Â«Nicht Max.» Das hatten sie nicht nötig. Sie hatten doch alles neu erfunden. Die Gesellschaft, die Liebe. Sie hatten die Regeln neu definiert. Aus freiem Willen vereint, nicht aus Pflichtgefühl.
    Was bildet der sich eigentlich ein?, dachte Erika jetzt. Und schon fauchte es wieder in ihr: Wer ist er schon? Ein mittelmäßig begabter Designer, ein mittelmäßiger Geschäftsmann, und besonders gut sieht er auch nicht aus. Sein Erfolg beruht nur darauf, dass er die Notsituation anderer für seine Zwecke nutzt. Und dir wirft er vor, auf Kosten der Gemeinschaft zu leben. Was für ein Würstchen!
    Doch sie konnte nicht wütend sein. Nicht auf Max. Warum hing sie so an ihm? Weil er sie nie wirklich gewollt hatte. Nicht wie die anderen. Warum hatte er sie dann geheiratet? Wegen der Fabrik? Hätte er die Fabrik nicht auch so leiten können? Leiten. Aber nicht besitzen. Konnte es sein, dass sie aus dem Umbruch der achtziger Jahre ein bürgerliches Beziehungsdrama aus dem 19. Jahrhundert geschaffen hatten? Ohne es zu merken? Statt freie Sicht aufs Mittelmeer zu bekommen, erstickten sie am Sägemehl ihrer Kompromisse.
    All die Jahre … keine Geschichten, ermahnte sie sich. Eins. Zwei. Drei. Sie setzte sich aufrecht hin und fühlte die Wut in ihrem Bauch und atmete und zählte und atmete und zählte. Die Wut löste sich auf. Sie zerbröckelte. Der Tiger war aus Papier, er flammte noch einmal auf und fiel dann in sich zusammen. Seine Asche löste sich auf, und Erika versank in bodenloser Trauer.
    Die Trauer war schwarz und schwer wie Erdöl und tränkte jede einzelne ihrer Zellen. Erika spürte Tränen in sich aufsteigen. Aus jeder Zelle stiegen sie hoch, drängten durch ihre Nase und füllten ihre Augen, bis sie überflossen. Dann rannen sie über ihre Wangen, tropften auf ihren Hals. Erika rührte sich nicht. Sie hob nicht die Hand, um sie abzuwischen. Die Tränen trockneten, und während sie trockneten, juckte ihre Haut.
    All die Jahre … Sie konnte förmlich spüren, wie die Worte ihre Gefühle anfachten, ihnen Leben einhauchten, den Tiger reizten, die schwarze Schlacke nährten. Wenn sie aber nicht darüber nachdachte, ob Max sie seit Jahren mit Marga betrog, ob Marga sich heimlich Erikas Leben angeeignet hatte, ob alle, wirklich alle über sie lachten, die dumme Erika, die nichts merkte … wenn sie nur fühlte, dann fühlte sie, wie ein Gefühl nach dem anderen sich auflöste. So wurde die schwarze Schlacke ihrer Trauer langsam leichter, heller, durchsichtiger, und darunter lag Erleichterung. Erika spürte, wie sich ihre Schultern entspannten, als sei ein riesiges Gewicht von ihnen genommen. Unendliche Erleichterung erfüllte sie, als sie erkannte: Es lag nicht an ihr. Es war nicht ihre Schuld.
    Sie hatte nicht alles falsch gemacht. Sie hatte getan, was sie konnte, es hatte nicht gereicht. Sie hatte Max nicht gerecht werden können, weil sie die falsche war. Die falsche Frau. Ganz einfach.
    Das Helle, Leichte breitete sich in ihr aus, durchdrang sie und umhüllte sie. Das endlos weite Kleid der Befreiung.

Nevada
    Es war so heiß. Es war der heißeste Sommer seit Jahren. Jahrzehnten. Der heißeste Sommer überhaupt. Die Hitze schien Nevada immer unerträglicher; sie verstärkte jedes einzelne ihrer Symptome, sie löste neue Schübe aus. Die Hitze war der größte Feind jedes MS-Patienten. Nevada hatte sich eine zweite Kühlweste gekauft, so dass eine ständig im Gefrierfach bereitlag. Sie trug sie über einem dünnen, weißen Unterhemd.
    Â«Sexy», sagte Dante.
    Â«Perversling!»
    Sie lachten. Mit Dante war sie glücklich. Hinter ihrem Rücken kreuzte Nevada die Finger, um den bösen Blick abzuwehren. Um das Schicksal in die Irre zu führen. Eines Tages würde sie für dieses unverschämte Glück bezahlen müssen. Das wusste sie. Manchmal hoffte sie allerdings auch, sie hätte bereits genug dafür gegeben.
    Nevada hatte keinen neuen Schub. Sie litt nur unter der Hitze, wie alle. Zum Glück konnte sie immerhin in eine kühle, abgedunkelte Wohnung zurück. Dante ließ beim Küssen einen Eiswürfel in ihren Mund gleiten. Er füllte die Badewanne mit lauwarmem Wasser. Das bewirkte den anhaltendsten Kühlungseffekt. Er saß am Rand der Badewanne, las ihr vor, was er an dem Tag geschrieben

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