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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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in seiner gewohnt praktischen Art.
    »Wir werden uns mäuschenstill verhalten, versteht ihr, mucksmäuschenstill. Lautlos wie huschende Eulenschatten unter den Bäumen, ohne Jagdgeschrei und ohne die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf uns zu ziehen. Vielleicht haben wir Glück. Schließlich gibt es ja eine ganze Reihe von Menschen, die in der Welt des Wahren Spiel leben, ohne jemals nur annähernd von einer Domäne berührt zu werden.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. Beide starrten mich erstaunt an.
    »Hallo! Auch wieder unter den Lebenden? Wir hatten dich schon aufgegeben, wirklich, wir hatten schon beschlossen, deinen bewußtlosen Kadaver auch ohne deine Einwilligung den weiten Weg zu deiner neuen Schule zu schleppen. Nicht verstanden, sagst du? Dabei war das doch die allererste Lektion, die du im Leben gelernt hast.«
    »Ich erinnere mich nicht«, murmelte ich. Es stimmte. Ich konnte mich nicht entsinnen.
    »Nun«, sagte Chance, »als du ungefähr vier oder fünf Jahre alt warst, haben wir oft in der Küche vorm Feuer gesessen und mit unserem einfachen kleinen Modell gespielt, du und ich. Du mit deiner putzigen Königin und dem König auf jeder Seite, schwarz und weiß, deinen winzigen Waffenträgern, Priestern und den kleinen Schildwächtern zu beiden Enden hoch oben auf ihren Zinnen. Das gleiche Bild auf meiner Seite. Alle Figuren auf dem Brett in prächtiger Schlachtordnung, wie die mächtigste Armee, die sich ein kleines Knabenhirn ausdenken kann. Erinnerst du dich?«
    Ich nickte, obwohl ich den Zusammenhang nicht begriff.
    »Wir spielten hin und her, du und ich, Zug um Zug, und entweder gewann ich, oder durch irgendeine eigenartige Schlauheit« – er zwinkerte und nickte Yarrel zu – »durch irgendeine zufällige Schlauheit gewannst du. Und am Schluß blieb häufig ein einsamer Bauer oder der Schildwächter auf seiner Turmbrüstung zurück, ohne daß er sich seit Spielbeginn auf dem Brett bewegt hätte. Stimmt’s?«
    Wieder nickte ich. Langsam dämmerte es mir.
    »Siehst du! Diese Figur wurde von der Grenze des Spiels nicht berührt. Sie stand da, und es kümmerte sie nicht, daß da und dort Waffenträger hochsprangen oder Kirchenmänner hinauf- und hinuntereilten. So verhält es sich auch im echten Spiel, mein Junge. Natürlich hat man euch in der Schule kaum etwas darüber erzählt, was ein Spieler tut, wenn er nicht spielt, aber um die Wahrheit zu sagen, die meiste Zeit im Leben verbringt man damit, durch die Welt zu reisen oder einfach irgendwo herumzustehen wie der kleine Bauer an der Seite des Brettes.«
    Er hatte recht. Wir hatten uns in Mertynhaus niemals Gedanken über Dinge gemacht, die nichts mit dem Spiel zu tun hatten. Wir verbrachten die ganze Zeit mit dem Lernen, wie man spielte, welche Züge von welchen Figuren gemacht werden konnten, welche Kräfte jedem Spieler innewohnten, welche Bedingungen den Spielzug beeinflußten oder wie man schätzte, wo die Grenzen einer Domäne lagen.
    »Aber selbst wenn sie nicht selbst spielen«, protestierte ich, »so spüren sie doch bestimmt die Kraft …«
    »Nein«, erwiderte er. »Genausowenig, wie man sie in den Ländern der Unveränderlichen, die sich völlig außerhalb des Spiels befinden, spüren kann.«
    »Keiner befindet sich außerhalb des Spiels«, protestierte ich erneut, doch nicht mehr so überzeugt.
    »Keiner außer den Unveränderlichen, mein Junge, und deren Existenz steht außer Frage.«
    »Ich dachte, sie seien eine Legende. Wie die Geisterfiguren.« Sogar beim Aussprechen des Wortes vollführte ich das diagonale Handzeichen, das vor dem Bösen schützt. Chance wackelte mit dem Kopf, seine Wangen blähten sich zu zwei kleinen harten Klumpen, während er über meine Worte nachdachte, die Augen so nachdenklich zusammengepreßt, daß sie sich unter dem Federflaum seines grauen Haares fast schlossen. »Nein, keine Legende. Und es könnte sein, daß Geisterfiguren auch keine sind. In den Schulstädten werden viele Dinge für Legenden gehalten, was sie … in Schulstädten vielleicht auch sind. DRAUSSEN geschehen oft Dinge, die wir in den Städten nicht für möglich halten würden. Wer weiß, was auf uns zukommt, dort, wo wir hingehen.«
    Ich bemerkte neugierig, daß ich nicht wüßte, wohin wir gingen, und die beiden begannen zu lachen. Nicht amüsiert, sonder eher so, als würden sie mich am liebsten fesseln und als Fischköder benutzen und als wäre das Lachen nur ein mehr oder weniger harmloser Ersatz dafür. Ich erkannte an ihrem

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