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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Pfandleiher über das windgepeitschte Wasser näher und näher an uns heran und zwangen unseren Kapitän, den Versuch, ans Westufer zurückzukehren, aufzugeben und statt dessen umzudrehen, um vor dem Boot mit den schwarzen Segeln nach Osten zu fliehen. Wir versuchten davonzueilen wie eine fette Frau vor einem Tiger, doch das schwarze schlanke Segel holte auf, bis das Boot in Hörweite mit uns gekommen war.
    »… lloo«, rief die Stimme, »… ollen … bloß … uuungen … Nam … eeeter!« Chance und Yarrel schauten mich erstaunt an, und der Seher trat dicht genug heran, um mir die Hand auf den Arm zu legen.
    »Sei auf der Hut, Junge«, sagte er. »Ich sehe Übles und Schmerz. Seid auf der Hut, Kapitän. Glaubt nicht, was diese Männer sagen.« Die Luft um uns herum wurde frostig, und wir wußten, daß der Seher Kräfte gesammelt und eine kleine Domäne um uns geschaffen hatte. Ich fröstelte – und nicht nur deshalb, weil es kalt geworden war.
    »Sie sagen, sie wollen nur den Jungen mit Namen Peter«, sagte der Kapitän. »Daß sie uns in Ruhe lassen würden, wenn wir ihn übergeben. Ich brauche eure Warnung nicht, Spieler. Es gibt keine ehrlichen Pfandleiher.« Ich betrachtete den Mann respektvoll. Er wand sich nicht und bettelte. Er erklärte bloß, wie die Dinge standen, und überließ es uns, die Entscheidung zu treffen. Spontan nahm ich das Spähglas aus seiner Hand, um unsere Verfolger näher zu betrachten. Hoch oben auf dem Vordeck des Bootes erkannte ich eine kadaverhafte Gestalt, die an der Reling lehnte und ebenfalls ein Spähglas an die Augen hielt, das auf uns gerichtet war, so daß wir uns beide Auge in Auge ansahen. Ich bemerkte, wie er die Lippen kräuselte und die buschigen schwarzen Augenbrauen runzelte, wie schurkenhaft er aussah – kein Wunder, bei dem, was er war! »Was sollen wir tun?« flüsterte ich dem Kapitän zu.
    »Vor uns befindet sich eine kleine Nebelbank. Wir könnten sie benutzen, um zu fliehen, denn das Boot kommt nur langsam näher, weil man auf die Dämmerung wartet und uns in der Zwischenzeit mit Wortgeplänkel hinhalten will. Wenn uns das Schicksal günstig gesonnen ist, können wir uns unsichtbar machen und den Hafen der Holzköpfe anlaufen.«
    »Hab ich mir’s doch gedacht«, stöhnte Chance.
    »Holzköpfe?«
    »Die Unveränderlichen, junger Herr. Der einzige Ort, wohin die Pfandleiher vielleicht nicht folgen werden. Wenn sie uns trotzdem folgen und uns schnappen, sind wir verloren, denn sie sind in der Überzahl.«
    Das stimmte allerdings. Das Boot mit den schwarzen Segeln besaß doppelt soviel Besatzung wie wir, junge, kräftige Männer. Ich nickte dem Kapitän zu und bedeutete ihm damit, daß er das tun solle, was er für das beste hielt. Vielleicht denkt ihr, ich sei nicht ganz bei mir gewesen. Ein naheliegender Gedanke. In diesem Augenblick fragte keiner von uns, warum ein solches Schiff aus dem Nichts heraus erschien, um mich zu suchen, einen Findling ohne Namen, ohne abgeschlossene Schulausbildung und für das Haus, aus dem er kam, nicht gerade ein Ruhmesblatt. Ich fragte nicht: »Warum gerade ich?« Genausowenig wie Yarrel oder Chance. Erst als die kleinen Nebelgeister zu Vorhängen zusammengewachsen und wir uns in den samtigen Falten davongestohlen hatten, erst als von dem Boot ein Wutschrei zu uns herüberscholl, körperlos und ohne Ziel in der Dämmerung, erst dann wandte ich mich an Chance, um zum erstenmal zu fragen: »Warum ich? Der Kapitän muß sich verhört haben. Wer soll mich schon suchen?«
    Worauf der Seher murmelte, der während der Flucht bei uns gestanden hatte: »Dich und niemand sonst, Junge. Und die Zeit wird kommen, da du nur zu gut begreifen wirst, warum …« Um sich abzuwenden und, wie es meines Wissens Seher oft taten, in stilles Grübeln zu verfallen, aus dem niemand ihn aufwecken konnte.
    Damals wußte ich nicht, warum. Noch weniger konnte ich mir vorstellen, warum. Es gab eine regelmäßige Übung, die uns die Spielmeister verordneten, wenn die Aufmerksamkeit der Schüler am Nachmittag nachließ. Sie hieß einfach ›sich etwas vorstellen‹, und die Aufgabe bestand darin, sich eine Folge von Zügen vorzustellen, deren Ergebnis eine äußerst unwahrscheinliche Konfiguration von Figuren sein sollte. Ich hatte diese Übung nie gut beherrscht. Yarrel beherrschte sie viel besser. Deshalb war ich auch nicht überrascht, als er zu der Zeit, als unser kleines verlorenes Schiff in den Hafen der Unveränderlichen schaukelte, bereits mit drei

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