Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
möglichen Gründen aufwartete.
»Mandor könnte sie gesandt haben. Wenn er nicht tot ist, wird er vielleicht von Reue geplagt und sehnt sich danach, sich mit dir auszusöhnen …« Das hielt ich für unwahrscheinlich. Ich hatte Mandors Gesichtsausdruck gesehen, nachdem Mertyn gezogen hatte. »Mertyn könnte sie gesandt haben«, fuhr Yarrel fort. »Ihm ist klargeworden, daß er eine falsche Entscheidung getroffen hat, indem er dich fortschickte, und nun …« Chance winkte ab, genau wie ich. Unserer Meinung nach – falls meine überhaupt zählte – machte Mertyn so gut wie keine Fehler irgendwelcher Art. »Oder jemand hat das Spiel beobachtet«, spann Yarrel weiter, »und den Schlag gesehen, der gegen Mandor erfolgte, und denkt nun vielleicht, die Kraft dazu sei von dir gekommen …«
Ich sagte ihm, daß ich das für Unsinn hielt.
»Ehrlich, Peter. Verwandte von Mandor denken womöglich so und sinnen auf Rache.«
»Ausgerechnet ich! Ich habe ihm nichts getan. Er war derjenige, der mich umbringen wollte.«
»Ja, aber das wissen sie vielleicht nicht. Jemand, der das Spiel von einem ungünstigen Blickwinkel aus beobachtete, könnte denken, du seist der Urheber gewesen.«
»Oder jemand von weit entfernt«, stimmte Chance zu. »Jemand, der es sah oder davon hörte, aber die Wahrheit nicht kennt. Vielleicht denkt er, du seist ein werdender Zauberer, und diese Pfandleiher haben den Auftrag, Spieler für ein Wahres Spiel zu rekrutieren, das irgendwo stattfindet.«
»Wo?«
»Keine Ahnung. Irgendwo. Irgendein mickriger König mit einer kleinen Domäne hat vielleicht ein gutes Angebot für einen Zauberer gemacht. Kein erfahrener Spieler würde in so einer kleinen Umgebung spielen, also hält der Pfandleiher nach einem Schüler oder einem Jungen Ausschau, dessen Talent gerade erwacht.«
»Aber es war doch Mertyns Magier und nicht ich! Mertyns Kraft, nicht meine. Sie floß seit Tagen in den Magier hinein, allmählich, so daß es keiner von uns merkte, damit er bereit war, wenn es losging. Es war Mertyn! Nicht ich.«
Chance stimmte zu. Er schürzte die Lippen und legte den Kopf zur Seite wie ein Vogel, der nach Käfern unter der Baumrinde horcht. »Du weißt das, mein Junge. Ich weiß es auch, ebenso Yarrel. Andere wissen es vielleicht nicht.«
Ich verlor die Beherrschung. »Seh ich vielleicht so aus? Wie das Kind eines Zauberers?« Einen Moment lang herrschte entsetztes Schweigen. Niemand, der Wert auf ein langes Leben legte, plärrte lauthals Dinge über Zauberer oder ihre Kinder in die Welt hinaus. Doch kein Blitzstrahl zuckte aus dem Nebel, um mich zu zerschmettern. »Man sieht mir doch an, wer ich bin. Ein Schüler. Noch ohne Zeichen von Talent. Ohne einen Namen. Ohne alles … Klar, ich weiß, was sie in der Schule erzählten, was dieses Speckgesicht von Karl immer behauptet hat. Daß ich Mertyns Festivalssproß sei. Nun ja. Jetzt sieht man ja, was Wahres daran ist. Ich bin von Mertynhaus weggegangen ohne jedes Zeichen von beginnendem Königtum, auf das man bauen könnte. Also, hört mit diesem Unsinn auf. Euer Geschwätz macht mich krank.«
Yarrel hatte den Anstand, mir den Arm um die Schultern zu legen und mich zu drücken, und einen Moment später folgte Chance dem Beispiel, und so umschlungen standen wir für einen langen Augenblick, während sich das Schiff die Wogen durchpflügend und Wasser hochspritzend dem Pier näherte. Masten kleiner Boote hoben sich kräftigen steingrauen Pinselstrichen gleich vor wolkigem Grau ab, Zapfen von Takelagen knarrten und klingelten, während ein Kreis bleichen Lichts hoch über uns hing wie eine erloschene Laterne. Der Mittag hatte sich als Abend maskiert, mit Abendglocken, die irgendwoher aus dem Nebel erklangen, weit entfernt und hoch, als kämen sie von Hügeln, und mich ergriff ein Gefühl der Traurigkeit, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Nach Minuten merkte ich, daß das Gefühl von dem bitteren Geruch nach Salz und Rauch herrührte, als ob Gras auf Marschwiesen abgebrannt würde, ein Geruch, so traurig und wundervoll wie die Jugend und das Wissen um Werden und Vergehen. Ein Ruf durchdrang die Dämmerung, und das Schiff schrammte knirschend an die Kaimauer. Der Kapitän sprang mit einem Satz über die Reling an Land, wo sich zwischen ihm und den Menschen, die dort warteten, ein eindringliches Gespräch entspann. Eine Laufplanke polterte herunter und gestattete uns, das schwankende Deck zu verlassen, die Beine wacklig und blubbernd wie Teig nach der langen Zeit auf
Weitere Kostenlose Bücher