Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant
Mich ausgraben? Warum? Das kam unerwartet, aber Wafnor war unbeeindruckt. Er griff noch einmal hoch und schickte eine kleinere Lawine Geröll nach unten, die vor Nickers Füßen aufschlug, gefolgt von mehreren Felsbrocken mittlerer Größe. Ich konnte spüren, wie Wafnor den Rand des Riffs packte und daran rüttelte.
»Zurück! Zurück! Sieht aus, als ob das Ganze gleich einstürzt. Oh, warum mußte er bloß dort hochsteigen! Izia! Hat er irgend etwas zu dir gesagt?«
Ihre Stimme wieder. »Ihr wißt, daß er nichts sagte, Herr. Nichts, was Ihr nicht auch gehört hättet. Und nun ist er tot …«
»Ich sollte ihn nach Westen schaffen«, knirschte Nicker. »Nach Westen, zu Langmann und den murmelnden Steinen. Ich kann unmöglich mit leeren Händen dort erscheinen.«
»Was sollten sie Euch denn tun? Es ist nicht Euer Fehler, daß der Felshang brüchig war. Vielleicht Pech, aber doch keine Absicht …«
»Ich habe Pech, seitdem der Wandler dich damals an mich verkauft hat. Pech während all der Jahre unserer Reise. Verdammt, ich wünschte, du wärst an seiner Stelle unter der Steinlawine begraben!« Ich hörte das Geräusch eines Schlags, ein Aufschrei, dann war es still.
Nach einer Weile sagte eine Männerstimme: »Bestimmt verstehen sogar sie, daß es Dinge gibt, die man nicht vorhersehen kann.«
»Die man nicht vorhersehen kann? Ja! Die man aber vorhersehen könnte. Ich werde verlangen, daß sie mir einen Seher mitgeben. Vielleicht sogar mehr als einen. Wenn wir dort ankommen, werde ich verlangen …«
»Fahren wir auf dieser Straße weiter, Herr?«
»Nein. Dieser Weg führt uns nirgendwo hin. Ich habe ihn nur genommen, um diesem verfluchten Nekromaten zu folgen, diesem Totenschädel, diesem Sohn einer ekelhaften Kröte. Oh, ich bin nur hier entlanggefahren, um ihn in eine Falle zu locken, und nun ist er gefangen, aber zu tief für mich, um ihn noch zu erreichen! Wir fahren zum Fluß Haws zurück und von dort aus nördlich, bis wir fast beim Höllenschlund sind und dann nach Westen, den Cagihiggy entlang. Wir haben keine Zeit mehr, etwas zu essen. Wir brechen sofort auf!«
Ich hörte eine Stimme hoffnungslos und leise etwas über den Höllenschlund murmeln und daraufhin einen weiteren Schlag. Dann vernahm ich nur noch das Rasseln der Geschirre, Räderknirschen, die Stimmen von Männern und einer Frau, die sich in östlicher Richtung entfernten und schließlich verklangen. Ich wartete ab, bewegte mich nicht. Nicker war mit allen Wassern gewaschen. Vielleicht hatte er jemanden zur Beobachtung zurückgelassen. Die Nacht brach herein, und ich schlief. Der Morgen kam, und Wafnor räumte die Gesteinsbrocken beiseite. Wie eine Erscheinung vom Ruf des Nekromanten wurde ich wieder ins Leben hineingeboren und blinzelte in die Sonne. Als ich pfiff, tauchte mein Pferd zwischen den Bäumen auf, wo Wafnor es während der Nacht festgehalten hatte. Sowohl das Pferd als auch ich brauchten Wasser, und erst als wir getrunken hatten, brachen wir nach Westen auf. Eigentlich hätte ich froh sein müssen, war es aber nicht. Meine Flucht, meine Sicherheit wurden von Izias fortdauernder Gefangenschaft überschattet, und sie beschäftigte während der ganzen Morgenstunden meine Gedanken, so stark, daß ich schließlich entschied, daß dieses Grübeln weder für sie noch für mich etwas Gutes bewirkte. Ich rief mir Mavins Worte: ›Vertraue den Schatten!‹ ins Gedächtnis. Wenn der Abend kam, würde ich tun, wie sie mich geheißen hatte.
Der Pfad führte aufwärts. Von einer einsamen Anhöhe aus konnte ich auf den Weg zurückblicken, den ich gekommen war, und entdeckte eine Staubwolke am östlichen Horizont. War das Laggy Nicker? Gab es etwas, das ich hätte tun können, aber versäumt hatte? In meinem Kopf entspann sich eine kleine Diskussion, und Stimmen sagten mir, daß ich nichts hätte tun können, nicht jetzt, wo dringendere Dinge meiner harrten. Trotzdem quälte mich das Gefühl, etwas Unerledigtes zurückgelassen zu haben. Obwohl ich versuchte, nicht daran zu denken, nahm Izia breiten Raum in meinen Gedanken ein.
So war es auch noch, als der Abend kam. Ich hockte abwartend neben meinem Lagerfeuer, lauschte auf ein Lebenszeichen der Schattenmänner, doch ich sah und hörte nichts, außer gelegentlichem lautem Insektengebrumme, das klang, als stöbere jemand sie auf. Der Morgen kam, grau und nieslig, und ich setzte meinen Ritt nach Westen fort. Der nächste Abend, ein neues Feuer. Ich holte Trandilar und bat sie um etwas
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