Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Titel: Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper

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für alles zu finden. Als ich aufhörte, die Luft anzuhalten, verebbte das Gefühl des Geschwollenseins langsam, und es erwies sich, daß ich in mir tatsächlich Raum für alles hatte, denn wir ritten weiter, bis die Berge, die sich zum Himmel erhoben, einen langen, purpurfarbenen Schatten auf die Stelle warfen, wo wir unseren Rastplatz aufschlugen.
    Feuer wurden angezündet. Die schweigsamen Bauern begannen mit ihren üblichen abendlichen Verrichtungen. Izia ging zwischen den Pferden umher, prüfte ihre Hufe, striegelte die feuchtglänzenden Flanken, flüsterte den Tieren etwas ins Ohr. Mit einer Entschuldigung entfernte ich mich vom Lager. Einer der gestiefelten Männer folgte mir, was mich nicht überraschte. Diesmal trat ich nicht ins Unterholz, sondern den felsigen Abhang hoch, wobei ich absichtlich schlurfte und dabei mit hoffnungsvoller Befriedigung bemerkte, wie sich unter meinem Tritt Geröll löste. Ich fand einen Spalt, nicht größer als ein Schrank, an einer Stelle, wo aus dem Hang ein großes Stück Fels herausgebrochen war. Dort verrichtete ich meine Notdurft und beobachtete, wie mein Bewacher mich nicht aus den Augen ließ. Um so besser …
    Ich griff in meinen Beutel und nahm das Abbild Wafnors in die Hand, des ersten und mächtigsten Tragamor. Ich wurde zu einem Zimmer, in das ein Mann mit fröhlichem Gesicht eintrat, der lachend die Hände derer umfaßte, die sich bereits darin befanden. Beinahe konnte ich ihn sagen hören: »Dorn, Trandilar, Shattnir, prächtig seht Ihr aus! Wie gut, meine Freunde wiederzusehen!«
    Und dann war er an meiner Seite und fragte: »Nun, was gibt’s?«
    Vielleicht sagte ich es ihm, vielleicht wußte er es einfach. Ich kann es einfach nicht beschreiben. Ein bißchen, als spräche man mit einer anderen Person, aber doch auch mit sich selbst und wüßte ohnehin gleichzeitig Bescheid. Ich fühlte, wie seine Arme sich in mir erhoben und hochreckten, immer höher, bis sie den Rand des Felsenriffs ungefähr fünfzig mannshoch über uns erreicht hatten, wie Wafnor die dort ruhenden Gesteinsbrocken packte und langsam abwärts bewegte, erst zwei, drei, dann ein Dutzend, wie die Steine ins Trudeln gerieten und hinabrollten, gegeneinander polterten, immer schneller, immer heftiger, bis eine Lawine von Gesteinsbrocken in Richtung meines kleinen Schrankes donnerte, über deren dröhnendes Gerumpel hinweg ich dem Mann, der mich bewachte, zuschrie: »Vorsicht! Steinschlag!« Er schaute auf, sein Gesicht ein weißes Oval um das Loch eines schwarzen, angsterfüllten Schreies.
    Dann hörte und fühlte ich nichts mehr außer dem Knirschen von Steinen. Immer noch griff Wafnor nach Felsbrocken, stapelte einen über den anderen, als sie herabgestürzt kamen, häufte sie um mich herum und über mich auf wie eine Höhle, eine Höhle, die von den Steinen, die davor zerschmetterten, noch eine ganze Zeitlang erschüttert wurde, bis schließlich Stille eintrat.
    Zwischen den Steinen, die mich umgaben, gab es Zwischenräume, Spalten, damit Luft hereinkam und ich die Geräusche draußen hören konnte. Ich vernahm erschrecktes Pferdewiehern, Schnauben, Izias Rufe, als sie die Tiere vor den herabstürzenden Gesteinsbrocken in Sicherheit brachte. Wafnor griff noch einmal nach draußen, über das Lager hinweg zu der Stelle, wo mein Pferd weiterhin gesattelt und bepackt stand, und lockte das Tier zwischen die Bäume, damit es vom Lager aus nicht mehr gesehen werden konnte, wo er es beruhigte und ihm sagte, es solle auf mich warten. Dann tat er nichts mehr, genausowenig wie ich, und wir warteten einfach ab und lauschten auf die Geräusche.
    »Wo ist er?« Laggy Nicker, tobend vor Wut.
    »Ich weiß es nicht.« Die antwortende Stimme klang zittrig, fast hysterisch. »Ich weiß es nicht. Er stand am Felsen, dort oben, und dann prasselte alles auf ihn herab. Er schrie mir zu, ich solle aufpassen. Ich hörte ihn schreien. Die Steine stürzten genau auf ihn herab … begruben ihn … bedeckten ihn …«
    »Zum Teufel auch!« schrie Nicker. »Was hat den Steinschlag ausgelöst?«
    »Nichts. Es fing einfach an. Ich habe nichts bemerkt. Keine Leute, nichts, was sich bewegte. Kein Donner oder so etwas. Es fing einfach an …«
    »Schattenmänner? Hast du Schattenmänner gesehen?«
    »Nein, Herr. Überhaupt nichts. Er schrie, und die Steine kamen herab …«
    »Los, rauf mit euch, nichtsnutziges Pack!« Das war wieder Nicker, seine Stimme diesmal schneidend schrill. »Wir müssen ihn ausgraben!« Er klang gehetzt.