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Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Titel: Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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fügte meine Vermutungen hinzu. »Didir findet keinen Geist in diesem Gebäude. Wenn es hier Geist gäbe, würde sie welchen finden, also gibt es hier keinen. Nichtsdestotrotz befinden wir uns an einem Ort, der Zeichen davon aufweist, der entworfen wurde, ein Ort, der offenkundig nicht zufällig oder aus Chaos entstanden ist. Wenn sich also kein Geist hier befindet, hat es vielleicht früher einmal welchen gegeben. Wenn er nicht hier ist, ist er vielleicht fortgegangen – irgendwo anders hin.« Ich wartete, ob mir jemand widersprach, aber meine Mitbewohner hüllten sich in Schweigen.
    »Wie dem auch sei«, fuhr ich verbissen fort, »irgend etwas befindet sich hier, irgend etwas Urtümliches, Bösartiges, das Geschöpfe hereinlockt, aber nicht mehr herausläßt. Eine Falle, eine schlichte Falle – aber wer hat sie gebaut?«
    »Ein Teufel?« Es war Wafnors Stimme, voller Zweifel.
    »Was sind Teufel?« fragte Didir.
    Schweigen.
    »Was bleibt, wenn der Geist gestorben ist?« Dorn, nachdenklich. »Wenn der Körper weiterlebt, nachdem der Geist tot ist …«
    Ich überlegte. Unterhalb Bannerwells, in den Kerkern, hatten wir nach der großen Schlacht Spieler gefunden, über deren lebende Körper Seidenhand, die Heilerin, in Tränen ausgebrochen war und gesagt hatte, man solle ihnen gestatten, zu sterben, denn ihr Geist sei schon längst tot, bis in die Wurzeln ZERLESEN und zerstört, ausgebrannt, und habe nur lebendes Fleisch zurückgelassen, wie sie es nannte. Sie hatten geatmet, geschluckt, mit blicklosen Augen ins Leere gestarrt. Himaggery hatte Seidenhand gewähren lassen, und sie hatte die Spieler friedlich einschlafen lassen. Didir las meine Erinnerung daran.
    »Welchen Geist besitzt die Echse auf dem Stein?« fragte sie. »Was denkt das Krokodil in seinem Sumpf? Geist genug, um zu essen, zu atmen, zu kämpfen und sein Revier gegen andere seiner Art zu verteidigen – gegen andere überhaupt. Soviel und nicht mehr. Keine Vernunft, keine Vorstellungskraft …«
    »Wie lange?« hauchte Dorn. »Wie lange kann es überleben?«
    »Für immer«, flüsterte Didir. »Warum auch nicht? Wer sollte es bekämpfen?«
    »Ihr meint also«, fragte ich sie, »daß der Schöpfer dieses Ortes … tot ist? Vielleicht schon lange tot? Daß aber irgend etwas von ihm, ein sehr alter, primitiver Teil überlebt hat?« Draußen hatte das Zischen erneut eingesetzt, die Tür öffnete sich langsam. Ich floß wieder die Wand hoch, rasch, denn es quoll mit einem einzigen aufbrausenden Wutschwall ins Zimmer. Ich fühlte etwas, das nach dem Eindringling suchte, etwas, das danach gierte, in Stücke zu reißen und zu zerfetzen. Diesmal blieb es lange, sehr lange im Zimmer, drehte und wendete sich, um den ganzen Raum zu durchsuchen, seine Oberflächen, seinen Geruch und Geschmack. Eine entsetzlich lange Zeit verstrich, bis es sich schließlich wieder entfernte, durch die Tür und die Korridore des Schlosses hinunter verschwand.
    »Wie können wir es aufhalten?« Niemand antwortete mir. »Los«, forderte ich sie auf, »helft mir nachdenken! Ist dieses Schloß erbaut worden? Oder ist es eher etwas wie dieser Hügel, auf dem ich saß und der mit mir sprach? Befinden wir uns im Körper eines Wandlers?«
    »Das ist doch gleichgültig«, erwiderte Wafnor. »Ruf Hafnor, meinen Vorfahren, den Portierer, der sich bei den Figuren befindet. Ruf ihn, und wir lassen uns von ihm von hier wegportieren …«
    Ich knirschte ob dieser Versuchung mit den Zähnen. »Würde ich das gewollt haben, hätte ich ihn anstelle von Großmutter Didir gerufen. Denkt doch an die Steinköpfe. An die wilden Tiere im Garten. Sollen wir sie einfach hier zurücklassen, ihrem Schmerz ausliefern?« Es war überheblich von mir, aber ich hatte entschieden, daß bei mir kein Hilferuf mehr unbeantwortet verhallen würde. Das Schicksal von Himaggery und Windlow – und vielleicht auch Izias – brannte zu tief in mir, die Schuld war zu frisch, um einer neuen zu erlauben, sie weiter zu schüren. Ich fühlte, wie sie sich unsicher in mir bewegten, und wie ich davon schwindlig und schwach wurde, wie sich die Macht entleerte.
    »Also gut«, sagte Wafnor. »Wenn wir den Geist nicht finden können, müssen wir eben den Körper angreifen.«
    Ich merkte, wie er seine mächtigen Arme ausstreckte, immer weiter, bis zu einem weit entfernten schlanken Turm, der an der Außenmauer des Schlosses stand, fühlte, wie Wafnor mit der ganzen Macht, die Shattnir für ihn aufgebaut hatte, gegen den Turm drückte.

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