Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
sie erfüllen ihren Zweck. Die Aufnahmen vom gestrigen Tag zeigen die Gegend um Connies Wohnblock, die Straße vor dem Haus und die nahegelegene Kreuzung. Ich bewege den Cursor über den Bildschirm und zeichne kleine Fadenkreuze an bestimmten Punkten der Bilder ein. Ein Fenster, die Lichter ausgeschaltet, aber der Vorhang offen, in dem Gebäude schräg gegenüber. Ein Straßenverkäufer, zwei Blocks von der Rückseite des Hauses entfernt.
Insgesamt sechs Stellen markiere ich. Sie zeigen an, wo gestern Abend CIA-Agenten gewartet haben, als Connie in ihre Wohnung heimgekehrt ist. Anhand der Videoaufnahmen von mir im Krankenhaus hat man den Agenten klargemacht, wonach sie bei allen männlichen oder nicht näher zu identifizierenden Passanten Ausschau halten sollen: auf den selbstbewussten, aufrechten Gang. Diese Erwartungen machen sie nun blind; ich muss nur ein wenig meine Schritte verlängern, den Kopf etwas wackeliger halten, die Armbewegungen reduzieren. Das und die ein wenig untypische Kleidung waren genug, sodass ich unbehelligt durch die Gegend spazieren konnte.
Auf den unteren Rand eines der Bilder schreibe ich die Funkfrequenz, die einer der Ermittler für die Kommunikation benutzt, und eine Gleichung, die den Verschlüsselungsalgorithmus wiedergibt. Als ich fertig bin, schicke ich die Bilder dem Leiter der CIA. Die Botschaft ist klar: Ich könnte jeden dieser Agenten töten, zu jeder Zeit, wenn sie sich nicht zurückziehen.
Damit sie aber die Anklage gegen Connie fallen lassen, und um mich vor weiteren Störmanövern der CIA dauerhaft zu schützen, muss ich noch weitergehen.
Wieder einmal Mustererkennung, aber dieses Mal von der banalen Sorte. Tausende Seiten Berichte, Memos, Schriftverkehr; jede ist ein Farbtupfer in einem pointillistischen Gemälde. Ich trete von diesem Panorama einen Schritt zurück und halte nach Linien und Kanten Ausschau, die ein Muster bilden. Die Megabytes, die ich durchgesehen habe, sind nur ein Bruchteil aller Aufzeichnungen aus der Zeitspanne, um die es mir geht, aber das genügt.
Was ich gefunden habe, ist ziemlich gewöhnlich, viel simpler als die Handlung eines Spionageromans. Der Chef der CIA hat gewusst, dass eine Gruppe von Terroristen einen Bombenanschlag auf die U-Bahn in Washington D.C. plante. Er hat den Anschlag nicht verhindert, damit der Kongress extreme Maßnahmen gegen diese Gruppe bewilligt. Der Sohn eines Kongressabgeordneten war unter den Opfern, und von da an hatte der CIA-Chef freie Hand beim Umgang mit den Terroristen. Auch wenn seine Pläne nicht ausdrücklich in den Unterlagen der CIA festgehalten wurden, sind die Implikationen ziemlich offensichtlich. Die relevanten Memos enthalten nur vage Andeutungen und sind unter einem Berg von unverdächtigen Dokumenten begraben; wenn ein Untersuchungsausschuss all diese Unterlagen lesen würde, würden die Beweise von diesem Hintergrundrauschen verschluckt werden. Ein Destillat der belastenden Memos würde allerdings die Presse überzeugen.
Ich schicke die Liste der Memos an den Chef der CIA, zusammen mit einer Notiz: Lassen Sie mich in Ruhe, dann lasse ich Sie in Ruhe. Er wird kapieren, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt.
Diese kleine Geschichte hat mich in meiner Meinung bestärkt, was die Angelegenheiten dieser Welt betrifft; würde ich die täglichen Nachrichten verfolgen, dann könnte ich überall krumme Machenschaften aufdecken, die aber allesamt gänzlich uninteressant wären. Ich werde meine Studien wiederaufnehmen.
Meine Körperbeherrschung wird immer besser. Inzwischen könnte ich über heiße Kohlen laufen oder mir Nadeln in den Arm stecken, wenn mir danach wäre. Mein Interesse an fernöstlichen Meditationstechniken beschränkt sich allerdings auf ihre Anwendung bei der Kontrolle von Körperfunktionen; keine meditative Trance, die ich erlangen kann, ist für mich auch nur annähernd so reizvoll wie mein mentaler Zustand, wenn ich Gestalten aus den elementaren Daten forme.
Ich entwerfe eine neue Sprache. Ich bin an die Grenzen der konventionellen Sprachen gelangt, und sie behindern mich nun bei meinen Versuchen weiterzukommen. Sie sind ungeeignet, um die Konzepte auszudrücken, die ich benötige, und selbst auf ihren eigenen Gebieten sind sie unpräzise und unergiebig. Sie taugen kaum für die gesprochene Sprache, ganz zu schweigen für das Denken.
Die gegenwärtige Sprachwissenschaft ist nutzlos; ich werde die Logik von Grund auf evaluieren, um die benötigten Basisbestandteile für meine
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