Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Alltag darauf zurückgreifen kann. Bis ich allerdings daraus Nutzen ziehen kann, leicht und mühelos, wie eine Tänzerin, die ihr kinästhetisches Wissen anwendet, wird es länger dauern.
    Alles, was ich früher theoretisch über meinen Geist wusste, verstehe ich jetzt ganz genau und bis ins kleinste Detail. Die unterschwelligen Strömungen von Sex, Aggression, der Selbsterhaltungstrieb, durch die Konditionierung während meiner Kindheit in geregelte Bahnen gelenkt, kollidieren mit dem rationalen Denken, verkleiden sich manchmal selbst als Denken. Ich erkenne die tieferen Ursachen aller meiner Launen, die Beweggründe jeder einzelnen Entscheidung.
    Was fange ich mit diesem ganzen Wissen an? Über das, was man üblicherweise als Persönlichkeit bezeichnet, kann ich frei verfügen – ich definiere mich jetzt durch die übergeordneten Aspekte meiner Psyche. Ich kann meinen Geist in eine Vielzahl mentaler oder emotionaler Zustände versetzen, bin mir dabei meiner Lage jedoch stets bewusst und immer fähig, meinen ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Nun, da ich die Mechanismen durchschaue, mit deren Hilfe ich früher versucht habe, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, kann ich mein Bewusstsein aufteilen und meine nahezu volle Konzentration, die Fähigkeit, Gestalten zu erkennen, auf zwei oder sogar mehr Probleme gleichzeitig richten, während sie mir auf einer übergeordneten Ebene alle bewusst sind. Gibt es überhaupt etwas, wozu ich nicht in der Lage bin?
    Mein Körper ist ganz neu für mich, als wäre der Stumpf eines Amputierten plötzlich durch die Hand eines Uhrmachers ersetzt worden. Meine Muskeln zu kontrollieren, ist ein Kinderspiel – ich verfüge über übermenschliche Koordination. Fähigkeiten, für deren Erwerb sonst viele Tausend Wiederholungen erforderlich sind, erlerne ich nach nur zwei oder drei Versuchen. Ich stoße auf eine Filmaufnahme, auf der man in einer Einstellung die Hände eines Pianisten beim Spiel sieht, und nach kurzer Zeit kann ich seine Fingerbewegungen nachahmen, ohne dass ich die Tasten vor mir hätte. Gezielte An- und Entspannung einzelner Muskeln verbessern meine Stärke und Flexibilität. Die Reaktionszeit meiner Muskeln beträgt fünfunddreißig Millisekunden, egal ob bei bewussten oder durch Reflexe ausgelösten Kontraktionen. Akrobatische Tricks oder Kampfkünste könnte ich im Handumdrehen erlernen.
    Ich kann die Funktion meiner Nieren ebenso wahrnehmen wie die Aufnahme von Nährstoffen und die Sekretion in meinen Drüsen. Ich bin mir sogar bewusst, welche Rolle Neurotransmitter für mein Denken spielen. Dieser Bewusstseinszustand bringt stärkere geistige Aktivität mit sich als jede adrenalingepeitschte Stresssituation; ein Teil meines Geistes ist ständig in einem Zustand, der einen normalen Geist und Körper binnen Minuten umbringen würde. Während ich die Feinjustierung meines Verstandes vornehme, erspüre ich den schwankenden Pegel jener Substanzen, die meine Emotionen auslösen, meine Aufmerksamkeit schärfen oder unmerklich meine Meinungen beeinflussen.
    Und dann schaue ich in die Welt da draußen.
    Blendende, wunderbare, furchteinflößende Symmetrie umgibt mich. Inzwischen hat sich so vieles zu Mustern zusammengefügt, dass das gesamte Universum kurz davor ist, zu einem Bild zu werden. Ich nähere mich der ultimativen Gestalt : dem Zustand, in dem alles Wissen sich zu einem Ganzen fügt und zu leuchten beginnt, als ein Mandala, als Sphärenmusik, kosmos .
    Ich strebe nach Erleuchtung, doch nicht im spirituellen Sinne, sondern nach der Erleuchtung des Verstandes. Ich werde dafür noch weitergehen, doch dieses Mal wird sie mir nicht mehr durch die Finger gleiten. In der Sprache meines Geistes kann ich genau ermessen, wie weit ich noch von der Erleuchtung entfernt bin. Meine endgültige Bestimmung ist nun zum Greifen nahe.
    Ich muss jetzt meine nächsten Schritte planen. Erst einmal geht es schlicht um bessere Selbsterhaltung, wobei ich mit dem Training von Nahkampftechniken beginne. Ich werde bei einigen Wettkämpfen zuschauen und mögliche Angriffsformen studieren, auch wenn ich mir nur Verteidigungsstrategien aneignen will. Ich kann mich so rasch bewegen, dass ich auch den schnellsten Schlägen ausweichen kann. Dadurch werde ich mich verteidigen und bei einem Überfall sämtliche Straßenkriminellen entwaffnen können. Bei alldem muss ich gewaltige Mengen essen, um mein Gehirn ausreichend mit Nährstoffen zu versorgen – trotz der erhöhten Effizienz meines