Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
mehr vor, Marco und Polo irgendwann als Firmen einzutragen?«
»Doch, das will ich immer noch. Ich bin nur nicht mehr so …« Wieder zögert er. »… fixiert darauf.«
»Nicht so fixiert darauf.« Ana fragt sich, wie gut sie Derek überhaupt gekannt hat. »Na super.«
Er wirkt gekränkt, was ihr ganz recht ist. »Das ist wirklich eine gute Sache«, sagt er. »Die Digis bekommen Zugang zu Weltenraum …«
»Ich weiß, ich weiß.«
»Ich glaube wirklich, dass es so am besten ist«, sagt er, doch es klingt nicht, als würde er selbst daran glauben.
»Wie denn das?«, fragt sie. Derek sagt gar nichts, und sie starrt ihn einfach nur an.
»Bis irgendwann«, sagt Ana und schließt das Telefonfenster. Der Gedanke, auf welche Weise Marco vielleicht missbraucht wird, ohne dass es ihm überhaupt bewusst ist, zerreißt ihr das Herz. Man kann nicht alle retten, ruft sie sich ins Gedächtnis. Aber nie hätte sie sich träumen lassen, dass Marco in Gefahr sein könnte. Sie hatte geglaubt, Derek würde so empfinden wie sie, er würde einsehen, dass man Opfer bringen muss.
In ihrem Erde 2 -Fenster sieht sie Jax fröhlich seinen Gleiter die Hänge hinauf- und hinuntersteuern, wie ein Kind auf einer Achterbahn ohne Schienen. Sie will ihm jetzt nicht sofort von dem Geschäft mit Binary Desire erzählen; sonst müssten sie erörtern, was das für Marco bedeutet, und dafür fehlt ihr gerade die Kraft. Im Moment will sie ihm einfach nur zuschauen und sich langsam mit der Vorstellung vertraut machen, dass die Portierung von Neuroblast tatsächlich begonnen hat. Es ist ein eigenartiges Gefühl. Erleichterung kann man es bei dem Preis, der dafür zu zahlen ist, nicht nennen, doch dass diese gewaltige Hürde für Jax’ Zukunft beseitigt ist, ohne dass sie dafür die Stelle bei Polytope annehmen muss, ist unbestreitbar eine gute Sache. Bis zur Fertigstellung des Ports wird es noch Monate dauern, doch jetzt, da sie ein Ziel vor Augen haben, wird die Zeit schnell vergehen. Jax wird Weltenraum betreten, seine Freunde wiedersehen und wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Zwar wird die Zukunft kein Zuckerschlecken sein; immer noch liegt eine endlose Reihe von Hindernissen vor ihnen. Aber wenigstens haben sie und Jax eine Chance, diese zu überwinden. Für kurze Zeit verliert sich Ana in ihren Tagträumen und malt sich aus, wie es wäre, wenn sie Erfolg hätten.
Sie sieht Jax im Laufe der Jahre erwachsener werden, sowohl in Weltenraum als auch in der wirklichen Welt. Sie sieht ihn als eingetragene Firma, als juristische Person, die einer Arbeit nachgeht und ihren Lebensunterhalt verdient. Sie sieht ihn an der Digi-Subkultur teilnehmen, einer Gemeinschaft, die über so viel Geld und so viele Möglichkeiten verfügt, dass sie sich nötigenfalls selbst auf neue Plattformen portieren kann. Sie sieht, wie er von einer Generation von Menschen akzeptiert wird, die mit Digis aufgewachsen ist und sie als potenzielle Partner betrachtet, auf eine Weise, zu der ihre eigene Generation niemals in der Lage sein wird. Sie sieht, wie er liebt und geliebt wird, streitet und Kompromisse eingeht. Sieht ihn Opfer bringen, manche schwer, manche dagegen leicht, weil er sie für jemanden bringt, der ihm etwas bedeutet.
Ein paar Minuten vergehen, und Ana sagt sich, dass die Träumerei aufhören muss. Es gibt keine Gewissheit, dass Jax zu alldem in der Lage ist. Doch wenn er die Chance darauf haben soll, muss sie mit der Aufgabe weitermachen, die jetzt vor ihr liegt: ihn leben zu lehren, so gut sie kann.
Sie fährt das Spiel herunter und ruft Jax über die Sprechanlage zu sich. »Genug gespielt, Jax«, sagt sie. »Zeit für die Hausaufgaben.«
Daceys vollautomatisches Kindermädchen
Aus dem Katalog zur Ausstellung Unfertige kleine Erwachsene – die Wahrnehmung von Kindern zwischen 1700 und 1950 ; Nationalmuseum für Psychologie, Akron, Ohio
Das vollautomatische Kindermädchen wurde von Reginald Dacey erfunden, einem Mathematiker, der im Jahr 1861 in London zur Welt kam. Ursprünglich galt Daceys Interesse der Konstruktion einer Unterrichtsmaschine. Inspiriert durch die jüngsten Fortschritte in der Grammophontechnik, wollte er, basierend auf dem Herzstück der von Charles Babbage entworfenen Rechenmaschine, einen Apparat bauen, der Kinder in Rechnen und Grammatik drillen sollte. Nach Daceys Willen sollte das Gerät den Unterricht durch Menschen nicht ersetzen, sondern Lehrern und Gouvernanten die Arbeit erleichtern.
Jahrelang arbeitete
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