Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

nicht, dass ihre Beziehung wegen dieser neuen Anstellung scheitert, aber mit Jax ist sie länger zusammen, als sie es je mit einem Liebhaber war; sie weiß, für wen sie sich im Zweifelsfall entscheiden wird.
    10
    Anas Nachricht über das gescheiterte Treffen ist kurz, aber aufschlussreich für Derek. Er hat ihre Stimme gehört, wenn sie früher über diese Möglichkeit gesprochen hat, daher weiß er, dass sie nun entschlossen ist, die Stelle bei Polytope anzunehmen.
    Dies ist schlicht und einfach Anas allerletzter Versuch, Neuroblast portieren zu lassen. Keinem gefällt der Gedanke, aber sie ist erwachsen, sie hat die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen und ihre Entscheidung getroffen. Wenn sie das tun möchte, kann Derek ihr zumindest als Freund beistehen.
    Und doch kann er das nicht. Nicht, solange es eine andere Möglichkeit gibt: nämlich, das Angebot von Binary Desire zu akzeptieren.
    Nach seinem Gespräch mit Marco und Polo hat Derek insgeheim Kontakt mit Jennifer Chase aufgenommen und sie gefragt, ob der Wunsch der Digis, sich als Firma anmelden zu lassen, sie für die Zwecke von Binary Desire disqualifizieren würde. Ihre Antwort lautete, die Kunden von Binary Desire dürften die von ihnen gekauften Kopien jederzeit als Firmen eintragen. Tatsächlich geht sie sogar davon aus, dass viele das tun werden, falls sie so starke Gefühle für die Digis entwickeln, wie Binary Desire sich das wünscht. Für Derek ist das die richtige Antwort, aber ein Stück weit hatte er gehofft, sie würde ihm die falsche geben und ihm damit einen eindeutigen Grund liefern, ihren Vorschlag zu verwerfen. Nun liegt die Entscheidung immer noch vor ihm. Vor ihm und Marco.
    Er hat über Anas Einwand nachgedacht – den Einwand, die Digis seien wegen ihrer mangelnden Erfahrung mit Beziehungen und Jobs nicht qualifiziert, das Angebot von Binary Desire zu beurteilen. Dieses Argument überzeugt nur, wenn man die Digis mit menschlichen Kindern vergleicht. Es läuft außerdem darauf hinaus, dass die Digis, solange sie an Erde 2.1 gefesselt sind und so stark behütet werden, niemals die nötige geistige Reife erlangen werden, um eine derart schwerwiegende Entscheidung treffen zu können.
    Aber vielleicht sollte man die Messlatte für Reife bei einem Digi nicht so hoch ansetzen wie bei einem Menschen; vielleicht ist Marco so erwachsen, wie er es für diese Entscheidung sein muss. Marco scheint keinerlei Problem damit zu haben, sich selbst als Digi und nicht als Menschen zu sehen. Gut möglich, dass er die Folgen seines Vorhabens nicht vollständig erfassen kann, doch Derek wird das Gefühl nicht los, dass Marco seine eigene Wesensart besser durchschaut als er selbst. Marco und Polo sind nicht menschlich, und vielleicht ist es ein Fehler, sie als menschlich zu betrachten und ihnen seine Erwartungen überzustülpen, anstatt sie einfach sie selbst sein zu lassen. Zeugt es eher von Respekt, wenn man ihn als Menschen ansieht, oder wenn man akzeptiert, dass er keiner ist?
    Unter anderen Umständen wäre die Frage rein theoretischer Natur und Derek könnte sie vertagen; aber sie hängt unmittelbar mit der Entscheidung zusammen, die er hier und jetzt treffen muss. Nimmt er das Angebot von Binary Desire an, gibt es für Ana keinen Grund, die Stelle bei Polytope anzutreten, also läuft es auf die Frage hinaus: Ist es für Marco weniger schlimm, wenn in seine Hirnchemie eingegriffen wird, als wenn Ana das Gleiche bei sich zulässt?
    Ana weiß, worauf sie sich dabei einlässt – besser als Marco. Aber Ana ist ein Mensch, und so großartig Derek Marco auch findet, Ana ist in seinen Augen mehr wert. Wenn einer von beiden sich neurochemisch manipulieren lassen muss, dann soll es nicht Ana sein.
    Derek holt sich den Vertrag auf den Bildschirm, den Binary Desire geschickt hat. Anschließend ruft er Marco und Polo in ihren Roboterkörpern zu sich.
    »Fertig für Vertrag unterschreiben?«, fragt Marco.
    »Ihr solltet das nicht nur anderen zuliebe tun, wisst ihr«, sagt Derek. »Ihr solltet es wirklich wollen.« Gleich darauf fragt er sich, ob das wirklich stimmt.
    »Du musst nicht immer wieder fragen«, sagt Marco. »Meine Meinung immer noch wie vorher, ich will das machen.«
    »Und du, Polo?«
    »Ja, ich auch.«
    Die Digis sind bereit, sogar begierig, und vielleicht sollte die Sache damit erledigt sein. Aber es spielen ja auch noch andere, ganz eigennützige Überlegungen eine Rolle.
    Wenn Ana die Stelle bei Polytope antritt, wird das zwischen ihr und