Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang

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»Ihre Absichten sind lobenswert, und ich wünsche Ihnen dabei alles Gute, aber für Exponential ist das nicht das Richtige. Wenn es sich bei diesen Digis um Produkte handeln würde, wäre der mögliche Nutzen das Risiko vielleicht wert. Aber wenn sie am Ende nur Angestellte sind, sieht es anders aus; bei einer so geringen Rendite könnten wir eine derartige Investition nicht rechtfertigen.«
    Natürlich nicht, denkt Ana. Wer könnte das schon? Nur ein Fanatiker – jemand, den die Liebe antreibt. Jemand wie sie selbst.

    Ana schickt gerade eine Nachricht an Derek, in der sie ihm von dem gescheiterten Treffen berichtet, als der Roboterkörper zum Leben erwacht. »Wie war Treffen?«, fragt Jax, aber er kennt sich mit ihrem Mienenspiel gut genug aus, um sich die Frage selbst zu beantworten. »Ist meine Schuld? Ihnen hat nicht gefallen, was ich gezeigt habe?«
    »Nein, du warst wunderbar, Jax. Sie mögen nur einfach keine Digis; es war ein Fehler von mir zu glauben, ich könnte sie umstimmen.«
    »War Versuch wert«, sagt Jax.
    »Das stimmt wohl.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Es geht schon wieder«, versichert sie ihm. Jax umarmt sie, dann bringt er den Körper zur Ladeplattform und kehrt nach Erde 2.1 zurück.
    Ana sitzt an ihrem Schreibtisch, blickt auf den leeren Bildschirm und überdenkt die Möglichkeiten, die der Usergruppe verbleiben. Nach ihrem Dafürhalten gibt es nur eine: für Polytope zu arbeiten und die Firma davon zu überzeugen, dass der Port der Neuroblast-Engine sich lohnt. Sie muss lediglich das InstantCare-Pflaster tragen und bei Polytopes Versuch einer industrialisierten Pflege mitmachen.
    Man kann über Polytope sagen, was man will, die Firma ist sich zumindest weit mehr als Exponential über den Wert von Echtzeitinteraktion im Klaren. Vielleicht genügt es den Sophonce-Digis ja, wenn man sie in einem Treibhaus sich selbst überlässt, aber diese Abkürzung taugt nicht, um sie zu produktiven Wesen zu machen. Irgendjemand muss mit ihnen Zeit verbringen, und Polytope hat das begriffen.
    Was ihr nicht gefällt, ist die Methode, mit der Polytope die Leute dazu bringen möchte. Die Strategie von Blue Gamma bestand darin, die Digis liebenswert zu machen; Polytope dagegen nimmt unsympathische Digis und manipuliert die Leute mit Pharmazeutika, sie zu lieben. In Anas Augen war die Herangehensweise von Blue Gamma eindeutig die richtige – nicht nur in ethischer Hinsicht, sondern auch, weil sie effektiver war.
    Vielleicht war sie ja sogar zu effektiv, wenn man Anas derzeitige Lage bedenkt: Sie ist kurz davor, das größte Opfer ihres Lebens zu bringen, und das für ihr Digi. Niemand bei Blue Gamma hätte vor all den Jahren mit so etwas gerechnet, aber vielleicht hätte man das tun sollen. Die Vorstellung von Liebe ohne Verpflichtungen ist genauso eine Illusion wie das, was Binary Desire verkauft. Jemanden zu lieben, bedeutet, Opfer für ihn zu bringen.
    Und genau deshalb zieht Ana es in Erwägung, für Polytope zu arbeiten. Unter anderen Umständen wäre ein Jobangebot, das den Gebrauch von InstantCare erfordert, eine Beleidigung für sie: Wenn es um die Arbeit mit Digis geht, hat weltweit niemand mehr Erfahrung als sie, und doch unterstellt Polytope ihr, dass sie als Trainerin nicht effektiv arbeiten könne, ohne medikamentös manipuliert zu werden. Die Ausbildung von Digis – genau wie die Ausbildung von Tieren – ist eine Arbeit wie jede andere, und ein Profi kann arbeiten, ohne bestimmte Aufgaben lieben zu müssen.
    Auf der anderen Seite weiß sie, welchen Unterschied Zuneigung beim Training ausmacht – wie sie einen zur Geduld befähigt, wenn man sie am meisten braucht. Die Vorstellung, dass diese Zuneigung künstlich erzeugt werden könnte, ist nicht angenehm, doch Ana muss die Fakten der modernen Neuropharmakologie anerkennen: Wenn ihr Gehirn beim Training mit den Sophonce-Digis jedes Mal mit Oxytocin überflutet wird, wird das unweigerlich Auswirkungen darauf haben, wie sie ihnen gegenüber empfindet.
    Die Frage ist nur, ob sie damit leben kann. Sie ist zuversichtlich, dass das InstantCare-Pflaster sie nicht von der Sorge um Jax ablenken wird; kein Sophonce-Digi wird bei ihr in emotionaler Hinsicht Jax’ Platz einnehmen können. Und wenn ihre Arbeit bei Polytope den Neuroblast-Port ermöglicht, dann ist sie dazu bereit.
    Wenn nur Kyle das verstehen könnte. Ana hat immer klargemacht, dass Jax’ Wohlergehen für sie an erster Stelle steht, und bisher hatte Kyle damit keine Schwierigkeiten. Sie will